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Letzte Tage in Dakar

März 08, 2022


Nun sind sie fast um, meine drei Monate im Senegal. Für den Abschluss meines Aufenthaltes verordne ich mir ein paar touristische Highlights - so die Insel La Gorée, auf der ich beinahe den deutschen Präsidenten treffe. Schon auf der Taxifahrt zum Hafen gibt es am Präsidentenpalast eine Umleitung und ich bin überrascht, als der Taxifahrer auf meine Frage antwortet: „Der deutsche Präsident ist da.“ Die Bestätigung bekomme ich am Hafen, an dem ein Aushang der Schifffahrtsgesellschaft seine geschätzten Klienten um Verständnis dafür bittet, dass die Überfahrten zur Insel heute etwas gestört sind, weil Son Excellence, Monsieur Frank-Walter, President de la Republique Federale d’Allemagne der Insel einen Besuch abstattet. Steinmeier ist wirklich ein komplizierter Name.


Die Insel La Gorée ist ziemlich berühmt, auch Barack Obama und Papst Johannes Paul II waren schon dort - denn es ist einer dieser Orte in Afrika, von denen aus in früheren Jahrhunderten Sklaven verschifft wurden. Das frühere Sklavenhaus ist heute ein Museum und die Insel ist - zumindest unter der Woche - ein beschaulicher Ort, der mit seinen bunten Häusern fast italienisch anmutet. Die Händlerinnen für Kleidung und Schmuck sind hier - im Gegensatz zu den sonstigen in Dakar - durchaus etwas aufdringlicher. Nachdem mir eine fünf Minuten lang Kleider und Stoffe zeigte, die mich nicht überzeugten, fragte sie mich, ob ich wirklich Madame-prends-rien sein möchte. Ja, wollte ich, zumindest bei ihr, denn nichts gefiel mir. Ich habe auf der Insel aber Kleider und Tücher gekauft, fast rauschhaft nach Farben gegriffen, denn ich weiß schon jetzt, dass ich die in Berlin vermissen werde. Gut möglich, dass ich dort kein einziges der Kleider werde tragen können, ich sehe schon jetzt die skeptischen Gesichter meiner Freunde vor mir, weil die Kleider vielleicht ein bisschen zu bunt sind. Und doch schien es mir dort auf der Insel unerlässlich, etwas von hier mit nach Hause zu nehmen und die Farben sind zumindest ein äußeres Zeichen der hier allgegenwärtigen Lebensfreude.


Denn die hat mir die Tage in Dakar immer wieder versöhnt, wenn ich mich angesichts des ständigen und nie abreißenden Lärms und ewig komplizierten Dinge des Alltags gefragt habe, wie man hier arbeiten kann. Wäsche, Transport, Strom, Müll, jedes dieser in Deutschland selbstverständlichen Dinge braucht hier viel Zeit. Das hier zu erklären, würde den Rahmen sprengen, aber ich verspreche, ich werde davon irgendwann mehr erzählen. Aber wie schreibt eine großartige Schriftstellerin wie Aminata Sow Fall hier Bücher? Ich verstehe es noch immer nicht, doch ich habe es versucht. Ich habe tagsüber mit Ohropax am Schreibtisch gesessen, um den Lärm der Baustelle über mir auszublenden, ich habe die Pausen der Bauarbeiter genutzt. Ich bin an den Strand gegangen, bin in ruhigere Landesteile geflüchtet. Und zwischendurch habe ich fassungslos in die Abgründe von Beziehungen geschaut, in einem Land, in dem gesagt wird, Frauen seien Königinnen. Doch ihre Rollen sind festgelegt: Ihre Bestimmung ist Heiraten und Kinderkriegen. Ich habe gesehen, was das mit ihnen macht; was es bedeutet, an jedem einzelnen Tag den Alltag aufrechtzuerhalten, für sich, die Kinder und die häufig abwesenden Männer. Und trotzdem habe ich nur einen winzigen Ausschnitt gesehen. Ich habe die Zähne zusammengebissen und geschrieben, in der Hoffnung, dass es mir gelingt, etwas von alledem für europäische Leser zu „übersetzen“. Denn das war der Grund für meinen langen Aufenthalt hier: Recherche. Manchmal habe ich mich allerdings gefragt, ob ich es wirklich so genau wissen wollte. 


Doch es gab auch den Tag, an dem der Senegal den Coup d’afrique de la nations gewonnen hat, die Dakaroises die halbe Nacht lang auf den Straßen tanzten und ich gar nicht umhin kam, mich mit ihnen zu freuen und Fan von Sadio Mané zu werden, der den entscheidenden Elfer für den Senegal verwandelte. Vor allem aber investiert er einen großen Teil des Geldes, das er als Profi in Liverpool verdient, in seiner Heimatregion für Schulen, ein Krankenhaus, ein Stadion und unterstützt arme Familien mit einem monatlichen Betrag. Er hat seine Kindheit nicht vergessen, in der er hungerte und auf dem Feld arbeiten musste. Er hat einen weiten, steinigen Weg zurückgelegt, um heute als Fußballer viel Geld zu verdienen und findet, dass dies in seiner Heimat besser angelegt ist als in einem Fuhrpark mit mehreren Luxuskarossen. Allein dafür wäre ich schon Fan von ihm geworden.


Es gab die Momente der Freude und Erleichterung, wenn mir jemand half, ein Problem zu lösen, wie der Guardien des Hauses, als ich allein zu Hause war und meine Gastgeber nicht genug Strom auf Vorrat eingekauft hatten. Ich tappte verzweifelt im Dunklen und er redete beruhigend auf mich ein - On est ensemble - bis das Problem gelöst war. Es gab die Momente, in denen ein Bauarbeiter eine Flasche Wasser für mich bezahlte, weil der Verkäufer in der Boutique an der Ecke meinen großen Geldschein nicht wechseln konnte. Es gab die Momente, in denen mir Frauen oder Männer auf der Straße Komplimente für mein schönes Kleid machten (ja, genau, für eines von denen, die ich in Berlin nicht werde tragen können).


Im Grunde weiß ich noch immer nicht, wie das Leben hier funktioniert. Aber ich weiß, dass meine Laune hier schneller wieder besser wird, wenn ich einen Anfall von Depression bekomme. Dass die Verzweiflung hier flüchtiger ist. Dass ich mich häufiger freue als zu Hause.


Während ich dies schreibe, ist in Europa ein Krieg ausgebrochen. Es scheint, dass ich einen Vorrat an Freude für meine Rückkehr gut gebrauchen kann.


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