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In diesem Blog finden Sie unter dem Stichwort Lektorat Texte zu Themen rund um meine Arbeit mit Sprache. 

Der zweite Schwerpunkt meiner hier versammelten Texte liegt auf Afrika: Ich erzähle von meinen Reisen und vom Alltag in Afrika, denn so oft es mir möglich ist, verlege ich meinen Arbeitsalltag nach Afrika, bevorzugt in den Senegal. Auch über Bücher von afrikanischen Autoren schreibe ich hier.


Auf diese Art verbinde ich meine Leidenschaften: Sprache und Afrika.
Ich freue mich, wenn Sie mich begleiten.

Straße in Dakar im Sonnenuntergang
von Dorrit Bartel 14 März, 2024
Nach fast vier Monaten im Senegal fliege ich in morgen zurück nach Berlin und es ist Zeit für ein Resümee. Ich wandere noch einmal durch die Straßen an die Orte, die in den letzten Monaten mein Zuhause waren und ahne schon jetzt, was ich vermissen werde und was nicht, wenn ich in mein anderes Zuhause in Berlin zurückkehre. Sieben Dinge, die ich vermissen werde Die farbenfrohe Kleidung Man sollte meinen, irgendwann nutzt sich das Staunen über all die Farben und Muster ab, in die hier sowohl Männer als auch Frauen gewandet sind. Doch auch nach Monaten gibt es noch Momente, in denen ich den Männern am liebsten die Kleider vom Leib reißen möchte, nicht wegen der Dinge darunter, sondern nur, weil ich gern genau diesen Boubou hätte. Den Mittagsruf des Muezzins Eigentlich ruft er zum Gebet, aber damit kann ich als Atheistin nicht so viel anfangen. Mich lässt der immer pünktliche Ruf um 14 Uhr rasch prüfen, wie weit ich mit meinem Tagwerk gekommen bin. Und mahnt an die Endlichkeit des Arbeitstages. Die Ziegen Selbst in einer Millionenstadt wie Dakar halten sich die Menschen Tiere, vor allem Ziegen, Hühner und Pferde. Abends, wenn die Stadt allmählich still wird, übernehmen die Ziegen die Geräuschkulisse. Auf dem Balkon sitzend lausche ich ihren „Gesprächen“, was eine Illusion von mich umgebender Natur schafft. Sonne und Meer Insbesondere die Kombination aus beidem, am Strand zum Sonnenuntergang. Senegalesisches Fastfood Fastfood bedeutet für mich hier hauptsächlich: Fleischspieße und Erdnüsse. Erdnüsse gibt es hier an jeder Ecke, man kann sie im Vorbeigehen kaufen, es ist eher ein Mitnehmen als ein Einkaufen. Die Verkäuferinnen sitzen auf dem Bürgersteig, man kann den Frauen oft zusehen, wenn sie sie rösten. Die kleinen Tütchen mit vielleicht 25 Gramm Inhalt kosten etwa 7 Eurocents und helfen, wenn die nächste Mahlzeit noch auf sich warten lässt. Die Dibiterie, in der ich ein oder zwei Mal pro Woche meine Fleischspieße (5 Stück für circa 1,50 €, sie sind aber kleiner als die, die ich von zu Hause kenne) kaufe, liegt zwei Minuten zu Fuß entfernt. Dibiterien sind kleine Stände oder Läden, in denen Fleisch (Huhn oder Rind) auf Holzkohlegrill zubereitet werden. Die Fleischspieße werden am Anfang des Abends gegrillt, in einem Glasschrank aufbewahrt und bei Bestellung noch einmal für einige Minuten auf den Holzkohlegrill gelegt. Der Running Gag zwischen den Verkäufern und mir ist, dass sie mich jedes Mal mit einem breiten Grinsen fragen, ob ich Chilisoße dazu haben möchte. „Aber ich werde davon sterben“, sage ich und beschränke mich auf gebratene Zwiebeln und Senf als Zugabe, was sie längst wissen. Trotzdem fragen sie mich jedes Mal wieder. Den Hausmeister Egal, ob am Abend eine Glühbirne ausfällt, der Strom zu Ende geht (man kauft den hier via Bon auf Vorrat und gibt die Nummer des Bons in ein Gerät in der Wohnung ein), ob mir ein Schuh kaputtgegangen ist oder das Internet ausfällt – Souleiman weiß Rat: Wechselt die Glühbirne, bringt den Schuh zum Schuster oder kann mir sagen, dass das mit dem Internet in der ganzen Straße so ist und nur Geduld hilft. Souleiman öffnete mir bei meiner Ankunft im November nachts um eins die Tür und wird auch morgen Nachmittag helfen, meinen Koffer in ein Taxi zu verfrachten. Bei alledem hat Souleiman immer gute Laune. Wann immer wir uns im oder vor dem Haus begegnen, wechseln wir ein paar Worte miteinander und der Tag wird sofort freundlicher. Kleine, freundliche Kontakte überall Überhaupt lebt die Atmosphäre hier von all den kleinen Momenten der Interaktion. Ein Lächeln oder ein Kompliment im Vorbeigehen. Das Bonjour eines fremden Kindes auf der Straße. Ein kurzes Gespräch an der Supermarktkasse oder nebenan in den Boutiquen, die eine Mischung aus Späti und Tante-Emma-Laden sind. Dabei geht es um das Wetter, eine erwartete Warenlieferung, Fußball oder Politik. Oder darum, dass ich aus Umweltgründen immer einen Stoffbeutel dabeihabe. Was gut sei, findet der Boutiquier, der gar nicht mehr nach einer Plastiktüte greift, wenn ich bei ihm einkaufe. Sieben Dinge, die ich hingegen nicht vermissen werde Die unzuverlässige Infrastruktur Die Infrastruktur funktioniert zwar schon viel besser als noch vor einigen Jahren, aber Aussetzer gibt es immer noch: Mal fällt der Strom für eine Stunde aus, mal das Internet für einen ganzen Tag und zwei Mal während der vergangenen Monate gab es kein fließendes Wasser. Es gilt, immer auf Ausfälle vorbereitet zu sein: Wasservorräte in Zehnliterflaschen regelmäßig aufzufüllen, ein Datenpaket auf dem Telefon zu haben, den Akku meines Laptops besser nie bis zum letzten auszureizen und immer eine geladene Taschenlampe greifbar zu haben. Ich habe mich an all das gewöhnt, aber es bedeutet eben, diese Dinge immer im Blick zu behalten. Den Morgenruf des Muezzins Der kommt irgendwann zwischen fünf und sechs Uhr morgens, also zu einer Zeit, zu der ich ungern geweckt werde, was aber in etwa der Hälfte meiner hiesigen Nächte passiert. Wenn es ganz schlecht läuft, gelingt es mir danach nicht mehr, noch einmal einzuschlafen. Das sind keine guten Tage. Ich weiß nicht, wie die Gläubigen ihre Tage nach dem so frühen Morgengebet in der Moschee absolvieren. Die Baustellen in meiner Straße Ich hoffe sehr, dass die Häuser, an denen in diesem Jahr gebaut wurden, im nächsten Jahr bewohnt sind und es dann keinen Grund mehr gibt für den Lärm von Betonmischern, Hämmern, Kreissägen und ähnlichem Gerät. Allerdings gibt es direkt nebenan eine Freifläche, von der ich fürchte, dass sie schon die nächste Baustelle kennzeichnet. Öffentliche Toiletten An Tagen, an denen ich reise, trinke ich in der Regel sehr wenig, was bei über 30° ein Problem werden kann. Doch ich meide öffentliche Toiletten wann immer es geht. Außerdem trage ich an Reisetagen geschlossene Schuhe, denn mit den Lachen, durch die ich nicht selten waten muss, um eine öffentliche Toilette zu benutzen, möchte ich mit meinen Füßen nicht berühren. Toilettenpapier ist hier ein überschätzter Luxus, meist bin ich schon froh, wenn die öffentlichen Toiletten abschließbar sind, was hier ziemlich oft nicht der Fall ist. Die ergonomisch katastrophalen Arbeitsplätze Ich weiß nicht warum, aber die Stühle hier sind immer zu niedrig für die Tische. Ich habe alles Mögliche ausprobiert, um meine malträtierten Schultern und meinen Rücken ein wenig zu besänftigen, aber ich gestehe: Ich sehne mich nach dem elektrisch höhenverstellbaren Schreibtisch in meinem Berliner Arbeitszimmer. Les Dragueurs Ein Freund behauptet, dass die senegalesischen Männer nach den kongolesischen die schlimmsten Dragueure des Kontinents seien. Dragueure von draguer, was eine schon recht derbe Übersetzung von anmachen, anbaggern ist. Das kann und will ich nicht verifizieren. Vermissen werde ich jedenfalls nicht: Die jungen Männer, die sich zum Beispiel am Strand zu mir setzen, mir ungefragt ihre Lebensgeschichte erzählen und irgendwann einflechten, dass sie auf weiße Frauen stehen und ich ein ganz besonders guter Mensch sei. Ehe ich fragen kann, woher sie das wissen, kommt die wenig dezente Frage, ob ich übrigens verheiratet sei, sie würden sich ansonsten gern zur Verfügung stellen. Taxifahrer Taxifahrer sind in Dakar mein Endgegner. Vor allem die, die kein Französisch sprechen und zwischendurch an die Seite fahren, um Passanten zu bitten, meine Erklärungen zum Fahrtziel ins Wolof zu übersetzen. Taxifahrer, denen ich erkläre, wo die Museen ihrer Stadt liegen oder die mit meinem Smartphone in der Hand versuchen, Google Maps zu lesen. Und das alles meist noch für einen Extra-Weißen-Preis. Und hier noch sieben Erkenntnisse, die ich mitnehme Die demokratischen Strukturen des Senegal funktionieren Es gab Anfang Februar den Versuch des amtierenden Präsidenten Macky Sall, die für Februar geplante Wahl auf Dezember zu verschieben und seine – zweite und letzte – Amtszeit auf diese Art um fast ein Jahr zu verlängern. Einen institutionellen Staatsstreich nannte es die Opposition. Dagegen sind die Senegalesen auf die Straße gegangen und der Verfassungsrat hat die Entscheidung des Präsidenten gekippt. Nun wird mit vier Wochen Verspätung im März gewählt. Das Wahlsystem ist ähnlich dem im Frankreich, es kann also sein, dass nach dem 24. März noch eine Stichwahl nötig wird. Aber dann wird – so ist zumindest im Moment anzunehmen – die Übergabe schnell passieren und Macky Sall abtreten, wenn sein Mandat am 2. April ausläuft. Die Bedeutung des Frauentags Der Internationale Frauentag ist hier durchaus bedeutend, ich bekam morgens einen entsprechenden Gruß von meiner Fußpflegerin, Rückenmasseurin und Schönheitsbehandlerin Génévieve, mit der ich in den letzten Monaten immer wieder sehr schöne Gespräche geführt habe. Auch in diversen Facebook-Posts oder Whatsapp-Status fanden sich Bezüge auf diesen Tag. Die Justizministerin gab anlässlich dieses Tages ein Interview, in dem sie sagt, dass der Senegal sicher eines Tages eine Präsidentin haben wird, aber der Weg dahin noch weit ist. Bei der diesjährigen Wahl findet sich unter den neunzehn Kandidaten eine Frau. Ansonsten sind die Frauen an diesem Tag wie üblich beschäftigt mit Wäschewaschen, Kochen, Kinderversorgen. Für sie bedeutet ein glückliches Leben, einen guten Mann zu haben und Kinder groß zu ziehen. Um die Bedingungen dafür wird gerungen und die Vorstellung davon, was ein guter Mann ist, verändert sich. Ramadan Meine letzten Tage hier erlebe ich die Stadt im Ramadan, etwa neunzig Prozent der Bevölkerung bekennen sich zum Islam und ein großer Teil davon nimmt den Ramadan sehr ernst. Meine Freunde hatten mir gesagt, ich solle dafür sorgen, dass mein Kühlschrank gut gefüllt ist, aber nun stelle ich fest, dass es doch nicht ganz so schwer ist, an Lebensmittel zu kommen: Die kleine Bäckerei in meiner Straße hat geöffnet, ebenso die Boutiquen und Supermärkte. Mein Obsthändler an der Ecke bietet auch dieser Tage eine Auswahl von – in dieser Jahreszeit meist importierten – Früchten an. Einzig die kleinen Läden, in denen sonst mittags lokale Speisen angeboten werden, sind dieser Tage geschlossen. Bessere Restaurants haben zum Teil geöffnet. Bei einem Besuch der Innenstadt spürte ich allerdings die Auswirkungen des Ramadans auf die Stadt. Dort, wo man normalerweise keine zehn Schritte gehen kann, ohne von Straßenhändlern Tücher, Sonnenbrillen, Boubous und andere Kleidungsstücke angeboten zu bekommen, ist es erstaunlich still. Einige der Händler haben ihre Waren zwar auf Mauern oder Tischen drapiert, sie anzupreisen reicht ihre Energie allerdings nicht mehr und sie warten auf Stufen oder auf dem Boden im Schatten dösend offenbar nur darauf, dass sie wieder essen und trinken dürfen. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die Gläubigen um drei Uhr morgens aufstehen, um vor Sonnenaufgang zu essen. Waschmaschinen sind eine tolle Erfindung In Privathaushalten gibt es sie hier selten, man bringt seine Wäsche in eine Wäscherei oder wäscht mit der Hand. Ich habe beides gemacht. Vor allem, wenn es nur ein paar kleine Stücke waren, lohnte sich der Weg in die Wäscherei nicht. Jedenfalls bin ich sehr froh, wenn diese Arbeit zu Hause wieder eine Maschine übernimmt. Ich bin zu nett Einmal – in einem kleinen, gemütlichen Küstenort – wurde ich einmal mehr von einem dieser jungen Männer mit zu viel Tagesfreizeit angesprochen und bat höflich darum, in Ruhe gelassen zu werden, denn ich verhandelte gerade mit einer Marktfrau. Die meinte, dass ich viel zu nett sei und das nächste Mal den Drageur ruhig anschreien solle. Bien noté. African Time Ich werde den etwas anderen Umgang mit Zeit vermutlich nie wirklich verstehen. Ich bin ja eine ziemlich deutsche Deutsche, also in der Regel sehr pünktlich und verbindlich – und frage mich regelmäßig, warum es mich immer wieder nach Afrika verschlägt, wo diese Eigenschaften nicht so verbreitet sind. Ich selbst werde im Taxi schon nervös, wenn sich wegen eines Staus eine Verspätung von etwa zehn Minuten abzeichnet. Und dann warte ich manchmal fast eine Stunde allein irgendwo auf afrikanische Freunde. Manchmal kann ich darüber lachen, wirklich daran gewöhnen werde ich mich wohl nie. Der Winter war zu warm Der Winter in Dakar war in diesem Jahr eindeutig zu warm. Normalerweise liegen die Temperaturen im Januar und Februar irgendwo zwischen 20 und 25 Grad. In diesem Jahr war es auch in diesen Monaten immer um die 30 Grad heiß, Ende Februar hatten wir sogar mal einen Tag mit 38 Grad. Immerhin jetzt, Mitte März liegen wir bei Wintertemperaturen. Ob dieser zu warme Winter ein Ausreißer oder dem Klimawandel zuzurechnen ist, weiß ich nicht. Ich werde hoffentlich Gelegenheit haben, das im nächsten Jahr weiter zu beobachten. Denn das habe ich vor: Im nächsten Jahr wieder einige Wochen oder Monate dort zu sein. Denn ich bin in Afrika ein fröhlicherer Mensch.
Alter Minibus im Senegal
von Dorrit Bartel 15 Jan., 2024
Es gibt ihn hier, den öffentlichen Personennahverkehr, ich habe ihn sogar mal fotografiert. Sehr alte Minibusse, oft so überfüllt, dass junge Männer auf dem Trittbrett mitfahren. Selbst mitgefahren bin ich noch nie. Nicht, dass ich nicht gewollt hätte, aber jedes Mal, wenn ich Freunde danach fragte, wie es funktioniert, sahen sie mich mitleidig bis entsetzt an: „Das willst du nicht wirklich ausprobieren.“ Also fahre ich mit dem Verkehrsmittel, das alle meine Freunde benutzen: dem Taxi. Und vermisse manchmal schmerzlich mein Fahrrad, das sich hier für viele Strecken anbieten würde. Aber Fahrräder gibt es hier sehr wenige, noch weniger als Pferdewagen, die zum Stadtbild und -sound gehören. Die Taxis in Dakar sind orange-gelb, meist französischer Herkunft und sehr alt. Es quietscht, klappert und schleift immer irgendwo, den Sitzbezügen sieht man die jahrzehntelange Nutzung an, sie sind oft so zerschlissen, dass das Schaumgummi hervorquillt. Alles das bemerke ich kaum noch. Was mich anstrengt, sind die Preisverhandlungen. Denn hier wird der Preis für jede Taxifahrt neu ausgehandelt. Ich gestehe, dass ich manchmal mein Viertel nicht verlasse. Denn abgesehen davon, dass es hier eigentlich alles gibt, was ich brauche (ein bisschen wie in Berlin, plus Strand mit fantastischem Sonnenuntergangsblick), ermüdet mich die Vorstellung, erst einmal mit einem Taxifahrer zu diskutieren. Denn natürlich rufen die Taxifahrer bei mir zunächst immer einen etwa doppelt so hohen Preis auf wie bei Einheimischen. Ich handle inzwischen recht gut, erreiche allerdings selten die Preise, die Khady mir vorgibt. Maximum 3500 CFA-Franc, schärft sie mir ein. Das sind umgerechnet immerhin über fünf Euro. Ich lande dann doch oft bei 4000, weil ich aufgebe. Neuerdings gibt es allerdings in Dakar auch so etwas wie Uber, das hier Yango heißt. Weil ich doch hin und wieder andere Viertel besuchen möchte, lade ich mir die App auf mein Telefon. Allerdings kommt der Bestätigungscode, mit dem ich die App aktivieren soll, weder per SMS noch per WhatsApp bei mir an. Ich schreibe also den Support an, der – darüber staune ich sehr – innerhalb einer halben Stunde antwortet. Weiterhelfen kann er mir allerdings nicht. Man kenne das Problem, die senegalesischen Telefonunternehmen ließen diese Nachrichten nicht durch, ich müsse mich also an meinen Telefonanbieter wenden. Da ich am nächsten Morgen verreisen will, habe ich keine Möglichkeit mehr, bei Orange vorstellig zu werden. Also verlasse ich am nächsten Morgen gegen acht Uhr das Haus, um mir ein Taxi zu suchen, dass mich zum Gare Routiere Beaux-Maraichers, dem Busbahnhof am anderen Ende der Stadt bringt. Diese Strecke kostet mehr als eine übliche Stadtfahrt, weil es wirklich weit ist. Früher habe ich meist Khadys Chauffeur gebeten, mich abzuholen, nachdem er ihre Kinder zusammen mit einigen weiteren zur Schule gebracht hatte. 5000 war ein durchaus fairer Preis. Aber Khady ist in Kanada und stapft vermutlich dieser Tage mit ihren Kindern durch Schnee zur Schule. Oder nutzt den dort vorhandenen öffentlichen Nahverkehr. Keine angenehme Vorstellung, den Tag mit einer Taxi-Verhandlung zu beginnen, aber ich habe keine Wahl. Um diese Zeit ist die Stadt noch still, nur vor dem Haus putzen zwei junge Männer ihre Autos. Wir nicken einander ein Bonjour zu, und einer fragt mich, ob ich ein Taxi brauche. Ja, schon. Zögernd schaue ich auf das anthrazitfarbene Auto. Er sei Yango-Fahrer, sagt er und könne mich für 4000 dorthin bringen. Ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann. Erst während ich dies niederschreibe, fällt mir auf, dass ich eine der wichtigsten Regeln nicht beachtet habe, nämlich: Steig nie zu Fremden ins Auto. Aber es wäre doch unwahrscheinlich gewesen, dass ausgerechnet Samstagmorgen vor meiner Haustür ein Entführer sein Auto putzt, oder? Am Ende der Fahrt habe ich die Telefonnummer eines Yango-Fahrers, der auch noch direkt nebenan wohnt. Das ist viel besser als eine App, finde ich. P.S. Vom Gare Routiere Beau-Marchaires bin ich schon an verschiedene Orte gefahren. Darüber erzähle ich in meinem Buch „Afrikas Pulsschlag: Begegnungen in acht Jahren und vier Ländern“. Darüber habe ich auch im Podcast habe ich mit Regina Lehrkind gesprochen, hier ist der Link zum Nachhören: https://www.youtube.com/watch?v=ap_i6mJv-Yw&t=17s
Adane in einem Durchgang
von Dorrit Bartel 05 Jan., 2024
Heute, am 5. Januar, hätte Adane Geburtstagsglückwünsche entgegengenommen. Sowohl er als auch seine Gratulanten hätten gewusst, dass dieser Tag nicht sein Geburtstag war. Denn niemand weiß, wann er geboren wurde. Der Geburtstag ist einmal so festgelegt worden, in dem Internat der norwegischen Nonnen, in das er als Kind gesteckt wurde. Irgendwann hatte man dort die Kinder durchgezählt und die Geburtstage auf den entsprechenden Tag des Jahres festgelegt. Adane, so hat er es einmal erzählt, war einfach die Nummer fünf in der Reihe. Vielleicht ist es so oder ähnlich gewesen. Vielleicht hat er diese Geschichte aber auch nur so wiedergegeben, weil sie sich gut und einleuchtend anhört. Er war ein begnadeter Geschichtenerzähler und er hat die Geschichte(n) seines Lebens wieder und wieder erzählt, wenn er mit Touristen durch sein Heimatland fuhr und er sie auf stundenlangen Busfahrten bei Laune halten wollte. Sicher hat er hier und da an den Geschichten gefeilt, Szenen seines Lebens ein wenig verändert oder zugespitzt, Dinge weggelassen, die ihm unwichtig schienen oder in der Erinnerung unangenehm waren. Tun wir das nicht alle? Mir hat er die Langfassung seines Lebens erzählt. Ich besitze etwa fünfundzwanzig Stunden Tonaufnahmen, die aus dem Jahr 2018 stammen. Im Februar jenes Jahres war ich eine der Touristinnen im Bus und fragte ihn schließlich, ob ich einen Roman über sein Leben schreiben dürfe. Alle in der Reisegruppe waren fasziniert von seinem Leben, doch für mich kam ein weiterer Aspekt hinzu: Wir teilten ein Stück deutscher Vergangenheit. Doch während ich den allumfassenden gesellschaftlichen Umbruch nur einmal erlebt hatte, hatte er diese Erfahrung mehrfach machen müssen. Offenbar war er gut damit klargekommen, denn er war heiter und optimistisch, während meine ostdeutschen Landsleute zum Teil schon von dem einen Umbruch überfordert schienen. Ich wollte wissen: Wie hatte er das gemacht? Nachdem er meinem Vorschlag zustimmte, fuhr ich im Juni desselben Jahres noch einmal nach Äthiopien, um die Langversion eines Lebens zu hören, das für mindestens drei gereicht hätte. Etwa zwei Jahre habe ich gebraucht, um seine Geschichte in einen Roman zu verwandeln. „Ich habe dir zwei Jahre meines Lebens geschenkt“, habe ich bei späteren Telefonaten manchmal zu ihm gesagt. Er lachte dann und sagte, er habe sich den Roman ausgedruckt und lese gelegentlich darin. Das reiche ihm. Er teilte meine Frustration darüber nicht, dass es mir in den drei Jahren nach Vollendung des Romans nicht gelang, einen Verlag für seine Geschichte zu interessieren. Auch als ich versprach, den Roman 2024 endlich selbst herauszubringen, betonte er, dass es ihm nicht mehr darauf ankäme. Er war glücklich darüber, dass die Geschichte geschrieben war und ich ihn, wie er mir gestand, etwas besser dargestellt hatte, als er sich selbst empfand. Zwei Jahre lang habe ich seinen Lebensweg nachgezeichnet. Von der Savanne, wo er geboren wurde und seine ersten Lebensjahre verbrachte, über das Internat der norwegischen Nonnen, das ganz in der Nähe seines Heimatdorfes lag, auch wenn ihm das damals nicht bewusst war. Für ihn war es gewesen, als sei er aus seiner eigenen Welt verstoßen worden und in eine vollkommen andere geraten, ohne eigene Entscheidungsmöglichkeit. Sein Ehrgeiz brachte ihn zum Medizinstudium nach Addis Abeba und in die Wirren der Machtkämpfe nach der Absetzung Haile Selassies. Er arrangierte sich – nach einem Gefängnisaufenthalt nicht ganz freiwillig – mit den Machthabern um Haile Mariam Mengistu. Am Ende von Mengistus Herrschaft gut eineinhalb Jahrzehnte später kam er wieder ins Gefängnis. Dazwischen lagen: eine Karriere als Funktionär, ein Studium und eine Promotion in der DDR und, als diese sich auflöste, die Rückkehr nach Äthiopien als stellvertretender Kulturminister. Auch die äthiopische Variante des Sozialismus hielt sich nicht und es war ebenso zynisch wie folgerichtig, dass er wieder im Gefängnis landete. Nach der Entlassung schaffte er es zurück nach Deutschland und begann – wieder einmal – ein neues Leben. Er heiratete und bekam zwei Kinder. Wechselte ins Baufach, lernte sämtliche Baugewerke so gut, dass er selbst zum Ausbilder wurde. Nach einigen Jahren wagte er wieder, sein Heimatland zu besuchen und entschied sich schließlich sogar, ganz zurückzukehren. Er sah dort einen Auftrag für sich: Der nächsten Generation in seiner Familie Bildung ermöglichen. Das, so sagte er manchmal zu mir, sei das letzte, was er in seinem Leben noch erreichen wolle: Dass jedes seiner dreizehn Geschwister ein Kind mit einem Schulabschluss in der Familie hat. Als er diesen Auftrag für sich annahm, ahnte er nicht, wie schwer es werden würde. Einmal habe ich ihn gefragt, ob er manchmal bedauern würde, zurückgekehrt zu sein, denn in Deutschland hätte er doch ein bequemeres Leben haben können. Er verstand die Frage nicht. „Dies ist meine Heimat.“ Wir haben oft telefoniert. Bis Ende 2020 wegen des Buches. Danach, weil wir Freunde geworden waren. Ich wäre auch gern noch einmal in seine Heimat gereist, um ihn zu besuchen. Für Ende 2020 war der Flug bereits gebucht, als in Äthiopien wieder ein Bürgerkrieg ausbrach. Ich stornierte den Flug. und wir überarbeiteten das Buch kapitelweise telefonisch. Adane hatte Zeit, denn er hatte keine Arbeit. Die Pandemie war eine Katastrophe für den Tourismus gewesen, der Bürgerkrieg verschlimmerte die Lage zusätzlich und hat sich auch nach dem Waffenstillstand vom Dezember 2022 nicht entscheidend verbessert. Wenn ich ihn fragte, wann ich ihn besuchen könnte, vertröstete er mich immer wieder. Er wollte mich keiner Gefahr aussetzen. Adanes letzte Jahre waren von der Unsicherheit in Äthiopien geprägt. Ich beobachtete die Wandlung des Landes aus der Ferne. Bei meinem Besuch 2018 hatte hoffnungsvolle Aufbruchstimmung geherrscht: Abiy Ahmed schloss Frieden mit Eritrea und stieß weitere Reformen an. Er bekam dafür 2019 den Friedensnobelpreis und hielt bei der Preisverleihung eine berührende Rede gegen den Krieg. Doch offensichtlich hatte er keine nachhaltigen Antworten auf die Konflikte im eigenen Land, die über Jahrzehnte gewachsen waren und sich jetzt zuspitzten. Nicht nur einmal schlich sich langes Schweigen in meine Telefonate mit Adane, wenn er berichtete: Wie die Soldaten, die für die die Regierung Lebensmittel verteilten, einen Teil des Getreides für sich selbst beiseiteschafften. Wie er darunter litt, dass die Kinder nicht genug zu essen hatten. Wie er in einem Dorf nach einem Massaker mit über hundert Toten aufräumte. Wenn ich meine Sprache wiederfand und ihn fragte, ob ich etwas für ihn tun könne, antwortete er: „Du kannst nichts tun und du musst auch nichts tun. Es reicht, wenn ich mit dir darüber reden kann. Das tut mir gut.“ Er hielt sich und die Kinder über Wasser: Mit Tätigkeiten auf dem Bau, die allerdings weniger Einkommensquelle als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen waren. Er gestand mir einmal, seine größte Angst sei, die Kinder zurück zu ihren Eltern in die Savanne bringen zu müssen, weil er sie nicht mehr versorgen könne. „Wenn ich das machen muss, gehe ich danach irgendwohin zum Sterben.“ Das Sterben spielte immer häufiger eine Rolle in unseren Gesprächen. „Um mich sorge ich mich nicht. Ich habe mein Leben gehabt. Aber die Kinder …“ Irgendwie ging es immer weiter. Mit Spenden aus Deutschland und von Nachbarn, von denen er sehr geschätzt wurde. Einmal brachten sie ihm zum Beispiel einen Sack Getreide, mit dem er die Kinder und sich für eine weitere Woche durchbrachte. Den Kindern im Ort sagten sie, sie sollten werden wie Adane – so erzählte es mir eine gemeinsame Bekannte, die ihm zuletzt noch häufig begegnet war. Adane war klug, warmherzig und großzügig. Zuletzt betrieb er eine Schreinerei. Für die hatten ebenfalls Freunde gespendet, und er war glücklich, arbeiten zu können. Er stellte Frauen ein, die oft verantwortungsbewusster waren als Männer, wissbegieriger, geschickter. So brachte er nicht nur „seine Kinder“ durch, sondern auch die der Frauen. Doch auch der Betrieb der Schreinerei war zuletzt immer schwieriger geworden, es gibt in Äthiopien kaum noch Material, keine Nägel, keine Schrauben, keinen Leim. Und keine Vorschüsse mehr, bei der fragilen Situation im Land war kein Auftraggeber sicher, ob die Arbeit fertiggestellt werden würde. Also kaufte Adane Holz auf eigenes Risiko. Irgendwie ging es weiter. Inzwischen schlossen einige „seiner Kinder“ eine Ausbildung oder ein Studium ab und verdienten selbst Geld. Sie unterstützten ihn und die Kinder, die noch keinen Abschluss haben. Er hätte noch drei, vier Jahre gebraucht, um sein Ziel zu erreichen. Es war ihm nicht vergönnt. Adane starb am 1. Dezember 2023, nachdem er sich am Morgen schlecht gefühlt hatte und ein Krankenhaus aufsuchte, in dem man nur noch zu hohen Puls und Blutdruck feststellen, aber nichts mehr für ihn tun konnte. Vielleicht war zuletzt doch alles zu viel für ihn gewesen. Sein Sohn Yitawok schreibt mir, dass er versuchen will, das Werk seines Vaters zu vollenden und auch den letzten der Kinder zu einem Schulabschluss zu verhelfen. Ich hoffe sehr, dass es ihm gelingt und will ihn dabei begleiten. 2018, in der hoffnungsvollen Zeit, als Adane und ich in Dire Dawa unsere langen Gespräche führten, hatten wir ein allabendliches Ritual. Nach dem Abendessen, das wir meist in der Kneipe eines Freundes zu uns nahmen, fuhren wir mit einem Tuk-Tuk durch die dunkle Stadt ins Hotel und tranken dort als Absacker einen Gin. Ich werde in meinem Leben nie wieder einen Gin trinken, ohne mich an den unglaublich weichen Geschmack äthiopischen Gins zu erinnern. Ich werde nie wieder Gin trinken, ohne mich daran zu erinnern, dass wir am Telefon oft darüber sprachen, irgendwann wieder zusammen Gin zu trinken. Ich werde nie wieder Gin trinken können, ohne an Adane zu denken und zu spüren, wie sehr er fehlt. Als jemand, der aus zwei Welten berichten und zwischen ihnen vermitteln konnte. Und als Freund.
Dorrit-schreibend-vor einem-Baum
von Dorrit Bartel 30 Mai, 2023
Als Lektorin und Autorin misstraue ich großen Worten, Bestimmung oder Schicksal verwende ich eher nicht. Oder Völkerverständigung , obwohl sich das neuerdings manchmal in meinen aktiven Wortschatz schleicht, wenn ich versuche zu erklären, warum ich immer wieder nach Afrika reise und darüber schreibe. Warum mir das wichtig ist. Mein Zugang zu Sprache ist kleinteiliger, aufs Detail achtend. Trotzdem hat mich die Blogchallenge #blogyourpurpose von Judith Peters gereizt und mir einen Anlass geboten, mich mit der Frage zu beschäftigen, die mir immer wieder gestellt wird: Was verbindet mich mit Afrika? Dafür muss ich etwas weiter ausholen. Von Mecklenburg, wo ich aufwuchs, nach Afrika ist es ein weiter Weg. Ich verspreche aber, dass wir am Ende dieses Textes in Afrika sind. Die Erschütterung meines Lebens … … waren die Jahre nach dem Mauerfall. Zum Zeitpunkt dieses historischen Ereignisses war ich zwanzig und lebte – ostsozialisiert – in meiner Heimatstadt Schwerin. Die Wochen und Monate danach erlebte ich euphorisch, neugierig und herausgefordert. Es galt, jeden Tag von Gewohnheiten Abschied zu nehmen, neue Beobachtungen zu verarbeiten, Erkenntnisse zu gewinnen und ungewohnte Erfahrungen zuzulassen. Ich war gespannt, wohin mich das alles führen würde. Was mich jedoch erschütterte, war, dass die Menschen, die nicht im Osten gelebt hatten, alles über uns zu wissen schienen. Sie erzählten uns unsere Geschichte, wussten, wie das mit der Stasi war und dass wir entweder alle Täter oder Opfer gewesen waren. Dass der solidarische Umgang, den wir miteinander pflegten, nur der Not geschuldet gewesen war. Sie wussten, dass wir massive Defizite in jeder Hinsicht und nicht gelernt hatten, eigeninitiativ zu denken und zu arbeiten. Sie wussten, dass wir ständig unter leeren Warenregalen gelitten hatten und naiv waren – so nannten sie es, weil wir nicht damit rechneten, dass jeder um uns herum darauf aus war, irgendwie an Geld von uns zu kommen, obwohl sie wussten, dass wir keines hatten. Es tat mir weh, auf diese Punkte reduziert und nicht gefragt zu werden, wie es mir tatsächlich gegangen war. Das Urteil über mich und meine Vergangenheit stand fest und viele Facetten meines Lebens blieben unberücksichtigt. Selbst in persönlichen Gesprächen wurde kaum differenziert. Tenor: Ich solle dankbar sein über die Möglichkeiten, die sich mir jetzt boten. Das war und bin ich, aus tiefstem Herzen. Ich möchte mich und mein Leben nur nicht darauf reduzieren lassen. Vom Osten in den Westen Ich habe etwa eineinhalb Jahrzehnte und zwei Umzüge gebraucht, um damit meinen Frieden zu machen. Der erste Umzug führte mich von Dresden, wohin ich kurz nach der Wende gezogen war, nach Köln. Um die Jahrtausendwende war in Dresden die heute sehr manifeste, grundsätzliche Unzufriedenheit mit allem schon latent zu spüren und ich ertrug diese Atmosphäre immer weniger. Außerdem war ich neugierig auf "den Westen". Schließlich lebte ich inzwischen ein Jahrzehnt in einem neuen System. Es war an der Zeit, es mir dort anzusehen, wo es das schon immer gegeben hatte. In Köln schlug ich mich irgendwie durch, lernte noch immer ständig über diese Gesellschaft hinzu, verstand gewisse Codes nicht, fühlte mich einsam und unverstanden. Als meine Französischlehrerin am lnstitut Francaise mich einmal fragte, ob ich mich wie eine Ausländerin fühlte, war ich überrascht. So hätte ich es nicht formuliert, aber die Frage traf mich. Fremd blieb ich, weil sich kaum jemand die Mühe machte, verstehen zu wollen, wer ich war und wo ich herkam. Man wusste es ja: Unrechtsstaat, Stasi, begrenztes Warenangebot, Mauerfall, (Un-)Dankbarkeit. Und das hatte man auch noch alles bezahlt mit seinem Soli-Zuschlag. Dass der auch von Arbeitnehmern im Osten gezahlt wurde, wusste man oft nicht. Dass im Osten viele Leute gern Soli-Zuschlag gezahlt hätte, weil das bedeutet hätte, dass sie gut bezahlte Arbeit gehabt hätten, interessierte auch eher nicht. Ich hätte gern davon erzählt, aber so genau wollte man es dann doch nicht wissen. Ich verlor meine anfängliche Neugier und fiel in einen Überlebensmodus, in dem ich von einem anderen Leben träumte. Eines Tages würde ich ausbrechen und woanders ein neues Leben beginnen. Vielleicht in Afrika? Nie träumte ich von Amerika, Australien oder Asien. Ich wusste über keinen der Kontinente besonders viel und meine schlechtbezahlten Jobs sorgten gerade mal für Miete und Essen. Vermutlich würde ich Afrika erst im nächsten Leben sehen. Zurück nach Hause Irgendwann gab ich es auf, in Köln heimisch werden zu wollen. Ich hörte auf, mich dafür zu kasteien, dass ich es nicht geschafft hatte und gestattete mir den Gedanken, dass Köln und womöglich "der Westen" und ich einfach nicht zusammenpassten. Ich wollte nach Hause, was nur irgendwie diffus "der Osten" war, wobei ich weder meine Heimatstadt Schwerin noch Dresden in Erwägung zog. Berlin war der einzige Ort, der in Frage kam. Ich landete im Westen der Stadt, denn den Osten, den ich aus meiner Jugend kannte, gab es nicht mehr. Ich erkannte bestenfalls die Straßennamen wieder, nicht aber die Straßen. Was mir die wunderbare Möglichkeit gab, mich neu zu entscheiden. Und es geschah noch etwas Wunderbares: Von einem Tag auf den anderen fiel die Last des Fremd- und Unverstanden-Seins von mir ab. In Berlin spielten Ost und West keine Rolle mehr. Die Codes, an denen man sich erkannte, hatten sich vermischt mit denen der Franzosen, Engländer, Israelis, Amerikaner, Australier. Sie alle – und noch viele Menschen aus anderen Nationen bevölkerten die Stadt, waren neugierig aufeinander. Da war kein Platz für kleinliches, deutsches Ost-West-Aufrechnen. Für die Erleichterung, die mir das bescherte, werde ich Berlin ewig dankbar sein. Da war es, das andere Leben, von dem ich mich in Köln manchmal gefragt hatte, ob es das geben könnte. Ich fing wieder an zu schreiben, was ich während meiner Kölner Jahre vollkommen vernachlässigt hatte. Ich schrieb einen Roman, von dem ich wusste, dass er nicht gut genug für die Öffentlichkeit war, ich ihn aber fertigschreiben musste, um daraus zu lernen. Ich fand Freunde aus Frankreich, Schweden, Australien und Israel. Und ich verdiente auf einmal so viel Geld, dass am Ende des Monats etwas übrigblieb. Genug, um endlich ernsthaft über Reisen nach Afrika nachzudenken. Afrikanische Freunde hatte ich nicht. Wie auch – Afrikaner sind in der Regel von den großzügigen Visaregeln ausgeschlossen, die für andere Nationen gelten. Im Grunde wusste ich noch immer nichts über Afrika und Afrikaner. Was schon damit begann, dass ich keine Ahnung hatte, wo welche Länder lagen – außer Südafrika, was kein Kunststück ist. Aber wie lebten die Menschen dort? Wie lebten sie damit, dass sie nicht einfach nach Europa durften, nicht einmal zu Besuchszwecken? Wie lebten sie mit den Folgen von Sklaverei und Kolonisation? Und wie empfinden sie die aktuelle Ausbeutung: Schokolade, Kaffee, Gold, Diamanten, Kobalt … ? So genau hatte ich mir diese Fragen nie gestellt. Doch ich zuckte zusammen, wenn jemand etwas sagte wie: " Die wollen alle nach Europa." " Die denken, hier liegt das Geld auf der Straße." Oder auch: " Die sind ja so dankbar, wenn man ihnen etwas schenkt." Das alles erinnerte mich an die Art und Weise, wie früher über mich gesprochen worden war. So wollte ich nicht dorthin reisen. Ich wollte kein fertiges Urteil haben. Ich wollte mit eigenen Augen sehen. Zuhören. Ich wollte es besser machen. Endlich in Afrika Ich reiste nach Afrika. Zuerst in den Senegal, in einer Gruppe von vier Leuten. Schon da hätte ich mich lieber länger mit unserem Reiseleiter unterhalten als noch ein Stück Land zu sehen. Ich war mir sicher, dass ich zurückkommen würde. Ich fuhr nach Kapstadt, wo ich im Rahmen eines Freiwilligenprojekts in einem Kindergarten arbeitete. Ich verliebte mich in einen Kongolesen, der in Kapstadt lebte. Ich besuchte ihn später mehrfach, und bekam eine Ahnung von den komplizierten Beziehungen der afrikanischen Länder und ihrer Bewohner untereinander. Leider zog es ihn überhaupt nicht nach Europa und ich konnte mich nicht für ein Leben in Südafrika entscheiden. Wir scheiterten an der Entfernung – der geografischen wie der kulturellen. In Äthiopien traf ich Adane, mit dem mich mehr verbindet als es zunächst schien: Er hatte in der DDR studiert, später für ein großes Bauunternehmen in der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet und sich schließlich dafür entschieden, in seine Heimat zurückzukehren – trotz wiederkehrender Umbrüche auch in Äthiopien. Ich hatte den Übergang von der DDR in die BRD für mich als die herausforderndste Zeit meines Lebens definiert – wie musste es für ihn erst gewesen sein, in einem Leben, in dem die Umbrüche häufiger und vor allem meist brutaler waren? Seine Lebensgeschichte elektrisierte mich so sehr, dass ich ihn fragte, ob ich darüber einen Roman schreiben dürfe. Nach drei Tagen Bedenkzeit willigte er ein. Ich kehrte noch einmal zurück nach Äthiopien, um ihn wochenlang über sein Leben zu befragen. Der Roman erscheint 2024. Mit Adane telefoniere ich bis heute beinahe wöchentlich, um zu hören, wie das Leben in Äthiopien gerade ist. Meine Familie in Dakar Ich reiste erneut in den Senegal und mietete mir diesmal in Dakar ein Zimmer bei einer einheimischen Familie. So konnte ich einen Einblick in das ganz normale Leben der Menschen bekommen. Aus diesem Kurzaufenthalt entwickelte sich eine Freundschaft. Inzwischen teile ich alljährlich einige Monate den Alltag meiner senegalesischen Freunde, sehe ihre Kinder aufwachsen und gehöre quasi zur Familie. 2020 habe ich mich als Lektorin selbständig gemacht, auch mit der Idee, meinen Arbeitsalltag häufiger nach Dakar zu verlegen und davon zu erzählen. Von meinen Aufenthalten dort hatte ich schon seit 2017 erzählt, zunächst im Blog des Autorenvereins 42erAutoren , später in meinem eigenen. Auch Bücher von afrikanischen Autoren oder solche, die sich mit Afrika beschäftigen, stelle ich vor. Ich tue das, weil ich möchte, dass die Menschen in Europa, in Deutschland mehr über die Menschen erfahren als das, was die Zeitungen anbieten: Hunger, Katastrophen, Überbevölkerung, Armut, Krieg, Korruption. Das alles gibt es, aber es ist nur ein Teil dessen, was den Kontinent ausmacht. Die Nachrichten verschweigen die Großzügigkeit der Menschen, ihre Gelassenheit. Sie erzählen nichts von der Neugier und nichts davon, wie viel (manchmal auch: wie wenig) die Menschen dort über uns wissen. Vor allem aber erzählen die Nachrichten nichts über unsere peinlichen Wissenslücken in Bezug auf Afrika. Sie verschweigen die Demut, die auch uns in Europa manchmal gut zu Gesicht stünde. Sie verschweigen, was wir von den Menschen dort lernen können. Ich jedenfalls bin jedes Mal wieder froh über die Lektionen in: Gelassenheit, Demut, Geduld. Über neue An- und Einsichten. Darüber, dass dort viel gelacht wird. Ich bin ein fröhlicherer Mensch in Afrika. Über Afrika erzählen leistet einen kleinen Beitrag zur Völkerverständigung. Denn ich bin überzeugt davon, dass wir friedlicher und freundlicher miteinander umgehen, wenn wir mehr voneinander wissen.
Bahnstation-in-Tansania
von Dorrit Bartel 20 Apr., 2023
Zugfahren in Tansania
Strasse in Kondoa
von Dorrit Bartel 10 März, 2023
Kondoa, zwischen Morogoro und Arusha gelegen, schien eine gute Idee für einen Zwischenstopp. In Morogoro hatte ich nach meiner Ankunft in Tansania Freunde getroffen, von Arusha aus wollte ich auf Safari gehen. Die Busfahrt von Morogoro nach Arusha würde vermutlich um die zehn Stunden dauern, weshalb ich sie nicht an einem Tag absolvieren wollte. Und ich hatte zwischendurch einige Termine für Video-Kurse bzw. -konferenzen, weshalb ich einen ruhigen Ort suchte, an dem ich außerhalb meiner Termine entspannt ein bisschen afrikanischen Alltag erleben könnte. Kondoa eben. So war zumindest der Plan. Die Fahrt nach Kondoa dauert viel länger als ich dachte, weil ich zwischendurch mehrere Stunden auf einen Anschlussbus warten muss. Schließlich bekomme ich gegen 18 Uhr einen Platz im Sammelbus, der für 20 Personen ausgelegt ist, zwischenzeitlich aber mindestens 30 Menschen transportiert und in jedem Dorf hält, um Fahrgäste ein- und aussteigen zu lassen. Je länger die Fahrt dauert und je dunkler es draußen wird, desto häufiger sage ich mir in Gedanken Andreas Satz "Unterkunft gibt es immer" wie ein Mantra vor. Ich habe nicht damit gerechnet, erst so spät in Kondoa anzukommen und habe nichts reserviert. In Kondoa lasse ich die Einheimischen zuerst aussteigen – ich habe es nicht eilig, denn ich überlege noch, wie ich an diesem Abend zu einem Bett kommen werde. Doch wie es in Tansania ist – mein Zögern wird bemerkt. Drei Fahrgäste bleiben mit mir im Bus und unterhalten sich – natürlich auf Suaheli – über die Mzungu (Weiße). Nur dieses eine Wort und die Blicke der Menschen machen mir klar, dass es wohl um mich geht. Indem jeder von ihnen ein wenig beisteuert, gelingt ihnen die Frage auf Englisch: Wo ich hinwolle. "Ich suche ein Guesthouse." Aussteigen, Nicken, Telefonieren, Warten. Die drei Fahrgäste, der Busfahrer sowie ein Motoradtaxifahrer (Bodaboda) positionieren sich um mich, eine der Frauen telefoniert und gibt anschließend dem Bodaboda-Fahrer Anweisung, mich in ein Guesthouse zu bringen. Das entnehme ich ihrem Tonfall und seinem Nicken. 2000 Schilling kostet die Übernachtung, sagt sie. Das wären etwa 80 Eurocent – was ich für unwahrscheinlich halte. Es stellt sich dann auch heraus, dass 20.000 gemeint sind. Das passiert in Tansania häufiger, dass es bei den Tausendern etwas durcheinander geht, ich werde mich im Laufe meiner Reise daran gewöhnen. Jedenfalls habe ich fünfzehn Minuten später ein Bett in einem Guesthouse, in dem allerdings auch niemand englisch spricht. Wie überhaupt in der Stadt so gut wie niemand, wie ich bald feststelle. Als ich morgens entschlossen zum Rezeptionisten gehe, um nach Coffee zu fragen, schüttelt der den Kopf. Bloß gut, dass ich in Morogoro mit Gerhard eine Liste mit wichtigen Wörtern erstellt habe, die ich jetzt zur Hilfe nehmen kann. Kahawa . Der Rezeptionist strahlt, denn tatsächlich kann er mir Kaffee bringen. Ich habe also Hoffnung, dass Kommunikation möglich sein wird. Die Hoffnung ist nicht von langer Dauer. Ich muss mich vier Tage lang mit Händen und Füßen verständigen, und meine Möglichkeiten selbst für so einfache Dinge wie "Guten Tag" oder "Wie komme ich nach …" sind beschränkt. Gelernt habe ich inzwischen Jambo (Hallo), Mambo (wie geht's) und die Antwort darauf: Poa (gut). Aber für ein Gefühl echter Konversation reicht es nicht. Abgesehen davon bin ich in diesen Tagen wohl die einzige Weiße in der Stadt und jeder meiner Schritte wird von johlenden Kindern und ihren Ausrufen Mzungu, Mzungu begleitet. Am Anfang macht das noch Spaß, nach drei Tagen strengt es mich nur noch an. Schließlich gebietet es die Höflichkeit, auf diese Rufe immer zu reagieren. Ein gedankenverlorener Spaziergang ist völlig ausgeschlossen. Ich bin heilfroh über meine Videokonferenzen, so kann ich wenigstens manchmal mit Menschen sprechen, die mich verstehen. Am dritten Tag, dem einzigen, an dem keine Videokonferenz ansteht, will ich einen Ausflug nach Kolo unternehmen, Felsmalereien besichtigen. Dazu muss ich einen Bus nehmen, so viel weiß ich. Also gehe ich entschlossen zu dem Ort, an dem der Bus bei meiner Ankunft gehalten hat. Gehe in das Büro und frage nach: "Basi to Kolo?" Basi heißt Bus, auch das habe ich immerhin herausgefunden. Viele Wörter in Suaheli enden auf i, interessanterweise wird genau dieses i bei Germany oft weggelassen. Wenn ich auf die Frage nach meiner Herkunft Germany sage, nickt man und sagt bestätigend: German. Doch der Angestellte im Büro schaut mich ratlos an, sagt etwas auf Suaheli, das ich nicht verstehe. Er geht mit mir nach draußen, um sich mit Kollegen zu beraten, die auch alle kein Englisch sprechen. Nach einer kurzen Diskussion, von der ich ausgeschlossen bin, fallen die Männer in ratloses Schweigen. Das ist der Moment, in dem ich an Maria Rubinstein denken muss. Jene Figur aus Daniel Kehlmanns "Ruhm", die durch eine Verkettung merkwürdiger Umstände irgendwo in Zentralasien "vergessen" wird und nie mehr von dort wegkommt. Einen Moment lang fürchte ich, ich werde für immer in Kondoa bleiben müssen, weil ich einfach niemanden finde, der mir den Weg von hier weg zeigen kann. Was habe ich mir dabei gedacht, in dieses Land zu reisen, ohne wenigstens ein paar Grundlagen der Sprache zu können? Englisch, dachte ich, ist schließlich eine Weltsprache. Ganz offensichtlich gilt das nur für einen Teil der Welt. Gut, dass mir das einmal so eindrücklich vorgeführt wird. Die Männer setzen mich schließlich auf ein Bodaboda und bedeuten mir, der Fahrer würde mich zum Bus bringen. Ihre noch immer ratlosen Minen zerstreuen meine Zweifel nicht, aber ich habe keine Wahl. Während der Fahrt spricht der Fahrer mit Kollegen auf anderen Motorrädern, um sich nach dem Weg zu erkundigen, nehme ich an. Doch als er anhält – wir sind noch nicht weit gekommen und nach Bus sieht es hier nicht aus – stellt sich heraus, dass ich falsch lag. Er bedeutet mir, ich solle umsteigen auf ein anderes Motorrad, denn Toshi, so stellt sich mir der zweite Fahrer vor, spricht englisch. Wahrscheinlich ist er der einzige Bodobodafahrer in ganz Kondoa, der englisch spricht. Er sagt, er lernt englisch, weil er damit vielleicht einen Job in Arusha finden kann. Er scheint ganz begeistert, dass er seine Fähigkeiten an mir ausprobieren kann. Und ich bin so glücklich, dass mich endlich jemand versteht, dass ich seine Telefonnummer einsammle, bevor wir uns verabschieden. Als ich zwei Tage später aus Kondoa abreisen will, rufe ich ihn an und er bringt mich zum zweiten Mal sicher zum Bus. "Du bist mein Held", sage ich. Wenn ich wieder nach Kondoa komme, sagt er, solle ich ihn anrufen. Ich nicke, obwohl ich weiß, dass ich nicht wiederkomme. Um wiederzukommen, müsste ich wenigstens etwas Suaheli lernen, das wäre ich den Bewohnern von Kondoa schuldig. Ich fürchte nur, das wird in diesem Leben nichts mehr. So wird mir Kondoa in Erinnerung bleiben als eine hübsche, sehr grüne kleine Stadt mit flachen Häusern, dazwischen kleinen Feldern und sympathischen Menschen, die viel gelächelt und mich als willkommene Fremde behandelt haben. Irgendwo in Afrika.
von Dorrit Bartel 24 Feb., 2023
Lektorat für Ihr Buch: Was kostet es und was bekommen Sie dafür? Tipps für die Suche nach dem richtigen Lektorat. Damit aus ihrem guten Buch ein sehr gutes wird.
Gruenes-Tal-in-Tansania
von Dorrit Bartel 22 Feb., 2023
Der Rucksack bleibt in Istanbul "Last call for passengers to Dar es Salaam", feuert mich die Lautsprecherstimme an, während ich durch den Istanbuler Flughafen sprinte und tatsächlich erfolgreich bin – als eine der letzten steige ich ins halbleere Flugzeug. Durch die Wetterbedingungen sind viele Zubringerflüge verspätet und offensichtlich haben nicht alle Passagiere einen Sprint hingelegt wie ich. Als ich auf das verschneite Flugfeld schaue, wird mir klar, dass mein Rucksack wohl nicht in der Maschine sein wird. Morgens gegen halb fünf ist es Gewissheit, mein Rucksack ist nicht in Tansania angekommen. Vor dem Lost-and-Found-Schalter stehen mindestens fünfzig herrenlose Gepäckstücke. Wird mein Rucksack dort womöglich auch bald stehen, verloren und vergessen? Mit meinen Kleidern und dem Adapter für die hiesigen Steckdosen, mit meinem Badeanzug und meiner Zahnbürste? Einen Moment lang stelle ich mir vor, dass ich all das nicht wiedersehen werde – dann konzentriere ich mich auf die Anweisungen der Angestellten und gebe die Auskünfte, die sie braucht. Überrascht registriere ich, dass mein Kopf für Rucksack nur das französische sac à dos ausspuckt. Ich war vorher knapp zwei Monate im Senegal und werde wohl noch eine Weile brauchen, ehe ich den Sprachumstieg geschafft habe. Die Angestellte ist sehr geduldig mit mir. Wir hoffen beide, dass mein Rucksack – endlich fällt mir auch backpack ein – am nächsten Tag zur selben Zeit eintrifft, man wird es mir dann nachschicken. Allerdings braucht sie eine tansanische Telefonnummer von mir, um mich zu informieren. Ich habe noch keine Telefonnummer, ich habe noch nicht einmal ein Visum. Irgendwie klären wir, wann ich wo anrufen und meine Telefonnummer durchgeben kann und ich bin vorsichtig optimistisch. Draußen schüttet es wie aus Eimern, immerhin bei etwa 25 Grad, irgendwie gefällt es mir sogar, dass ich jetzt keinen großen Rucksack durch den Regen tragen muss. Nachdem ich allerdings nach drei Minuten Fußweg völlig durchnässt bin, beschließe ich, nicht den Bus zu suchen, sondern ein Taxi zum Busbahnhof zu nehmen, von wo aus die Überlandbusse abfahren. Auch nach Morogoro. Dort warten nämlich Andrea und Gerhard auf mich, Kölner Freunde, die vor zwei Tagen in Tansania angekommen sind und den Westen erkunden wollen, während mein Ziel der Norden ist: Die Serengeti und der Kilimandjaro. Aber einen Tag werden wir zusammen in Morogoro verbringen, mal wieder zusammen ein Bier in Afrika trinken, wie wir es vor einigen Jahren schon einmal in Addis Abeba getan haben. Auch damals trennten sich unsere Wege nach einem Tag. Es tut gut, in einem mir völlig fremden Land irgendwo erwartet zu werden. Während der Busfahrt macht sich die Nacht im Flugzeug bemerkbar – immer wieder schlafe ich ein, habe auch genug Zeit dafür, denn für die 200 Kilometer von Dar es Salam nach Morogoro braucht der Bus fast vier Stunden. Inzwischen hat der Regen nachgelassen und ich kann besser erkennen, was er in diesem Land bewirkt: Die Landschaft ist grün, überall blühen Pflanzen und auch die Baobabs tragen Blätter. Ich bin im Februar sonst oft im Senegal – dort ist jetzt Trockenzeit und die Baobabs sind kahl. Hier erkenne ich sie zunächst gar nicht, weil durch ihr Blätterkleid die typischen, wurzelförmigen Äste nicht zu erkennen sind. Wiedersehen mit Freunden Im Guesthouse in Morogoro muss ich zunächst auf Andrea und Gerhard warten und nutze die Zeit für ein kurzes Gespräch mit einem anderen Gast, der mir auch gleich das Kennwort für seinen Hotspot gibt, weil es hier kein W-Lan gibt. Ein freundlicher Empfang, das wird auch so bleiben, als ich einen kurzen Spaziergang unternehme, werde ich ständig mit Jambo (Hallo) oder Karibu (Willkommen) begrüßt. Es gibt im Guesthouse ein Handtuch, Seife und eine (kalte) Dusche. Eine kleine Reisezahnbürste habe ich dabei – in weiser Voraussicht ins Handgepäck gesteckt. Nach der Dusche muss ich allerdings wieder in die Jeans steigen, die ich in Berlin angezogen hatte, um bei null Grad zum Flughafen zu fahren und das T-Shirt anziehen, in dem ich insgesamt fast zehn Stunden im Flugzeug und vier Stunden im Bus gesessen habe. Jetzt aber – die Sonne scheint und es sind sicher 28 Grad – bin ich in der Jeans etwas overdressed. Als meine Freunde ankommen und wir glücklich unsere Anreisegeschichten ausgetauscht haben, leiht Andrea mir einen Kamm und einen Rock. So bin ich wenigstens die Jeans los. Ich kaufe ein Kleid, das ich allerdings noch kürzen lassen muss, aber wenigstens werde ich am nächsten Tag etwas Leichteres anzuziehen haben. Und dann helfen sie mir bei der Suche nach einem Vodafon-Shop. Gemeinsam suchen wir die für mich passende SIM-Karte aus (ich brauche ein großes Datenpaket, denn ich muss ja auch arbeiten in meinen Wochen hier). Ich bin froh, dass sie das alles gestern schon für sich getan haben, so geht es jedenfalls schneller, als wenn ich mich allein auf die Suche machen müsste. Schließlich bekomme ich von ihnen einen Crashkurs zu allen Dingen, die ich hier wissen muss: Essen und Bett gibt es hier fast überall, das Busnetz ist sehr gut ausgebaut und die Menschen sind unglaublich hilfsbereit. Außerdem gibt es einen Crashkurs In Kisuaheli, das Gerhard ein wenig spricht. Denn so viel habe ich inzwischen verstanden: Mit Englisch werde ich in kleinen Städten nicht weit kommen. Ich mache mir eine lange Liste mit den wichtigen Wörtern: Wasser, Bier, Kaffee, groß, klein, warm, kalt usw. Und endlich auch Antworten auf das mir hier immer wieder zugerufene Karibu und Jambo , auf das mir mehrfach ein Ca va rausrutscht. Wenn mir rechtzeitig einfällt, dass das hier völlig unangebracht ist, bleibt mir bislang nur ein schiefes Lächeln. Vor allem nehmen wir uns die auf Kisuaheli verfasste Speisekarte in dem Restaurant vor, in dem wir essen, damit ich zwischen Rind, Huhn, Ziege oder Fisch wählen kann. Und zwischen gebrühtem oder gekochtem Reis, Maisbrei oder Chipsi (Pommes). Gemüse gibt es immer dazu: ein grünes, spinatartiges (ich finde, es ähnelt mehr Grünkohl als Spinat, aber es schmeckt jedenfalls) und gekochte Bohnen. Im Übrigen isst man hier mit der rechten Hand. "Wir kriegen aber meist einen Löffel dazu", sagt Andrea. Und dann stoßen wir endlich mit einem Kilimandjaro an – die Biersorten heißen hier nämlich so: Kilimanjaro, Serengeti, Safari … Wiedersehen mit meinem Rucksack Am nächsten Morgen um halb sieben kommt der Anruf: Mein Rucksack ist jetzt in Dar es Salaam und soll zwischen 16 und 17 Uhr mit einem Bus in Morogoro ankommen. Ich kann ihn im Büro der Busgesellschaft abholen. Andrea und Gerhard unternehmen einen längeren Ausflug – was ich wegen des Wartens auf meinen Rucksack nicht in Erwägung ziehe. Außerdem steckt mir der Flug noch im Körper und ich fühle mich noch zu erschöpft, um vier Stunden Bus zu fahren. Stattdessen entscheide ich mich für eine kleine Wanderung in die Uluguru Berge, die sich südlich von Morogoro erheben. Von oben aus bieten sich mir wunderbare Ausblicke in die grünen Täler. Manchmal begegne ich Menschen, die mich auch hier stets freundlich mit Karibu begrüßen. Das ist mein erster Eindruck von Tansania: Sehr herzliche Menschen, denen daran gelegen ist, dass Gäste ihres Landes sich willkommen fühlen. Am Nachmittag, kurz vor 17 Uhr gehe ich an die Straßenecke, wenige Schritte vom Guesthouse entfernt und zeige den Motorradtaxifahrern die Nachricht mit dem Namen der Busgesellschaft, damit mich einer von ihnen dorthin fährt. Optimistisch bitte ich ihn, vor dem Büro zu warten, ich muss ja nur meinen Rucksack nehmen, dann kann ich gleich wieder mit ihm zurückfahren. Aber natürlich ist der Rucksack noch nicht da. Also beschließe ich, in der Stadt zu bleiben und in einem nahegelegenen Café auf den Anruf des Angestellten der Busgesellschaft zu warten. Ich lasse das afrikanische Treiben an mir vorüberziehen, trinke einen Avocadosaft und dann noch einen zweiten, der erwartete Anruf kommt nicht. Geht mein Rucksack so kurz vor dem Ziel doch noch verloren? Ich habe ja inzwischen gelernt, dass in Afrika vieles viel besser organisiert ist als ich oft glaube, aber ein leichter Zweifel bleibt. Gegen 18:30 schaue ich noch einmal bei der Busgesellschaft vorbei, doch der Angestellte schüttelt den Kopf. Etwas irritiert, weil ich ihm nicht vertraue. "Ich rufe dich an." Als ich eine Viertelstunde später im Guesthouse ankomme, kommt der Anruf und ich gehe – jetzt in der Dunkelheit – wieder zu den Motorradtaxis. Einer der Männer schaut mir entgegen und fragt gleich: "Abood bus?" Meine Schritte sind hier also gut beobachtet worden – was ich aber als eher freundliche Geste, denn bedrohliche Überwachung empfinde. Natürlich, wir sind hier so was wie eine Attraktion – drei Mzungu (Weiße), die mehrere Tage in der Stadt bleiben. Morogoro liegt einfach nicht direkt an den von westlichen Touristen frequentierten Strecken. Und endlich habe ich ihn, meinen sac à dos , pardon, backpack . Ich entschuldige mich für meine Ungeduld bei dem Angestellten, der lächelnd fragt, ob ich nun erleichtert sei. "Ja", sage ich, "alle meine Kleider. Meine Zahnbürste. Und mein Deo." Wir lachen beide, als ich den Empfang quittiere. Abschied von Freunden Nachdem ich meine Wiedervereinigung mit all meinen Sachen ausgiebig genossen habe, unter anderem damit, dass ich die Nacht in meinem Schlafshirt verbracht habe, heißt es Abschied nehmen. Andrea und Gerhard machen sich auf ihren Weg in Richtung Südwesten. Zusammen trinken wir in einem Restaurant noch einen von diesen exotischen Säften – diesmal Mango – dann trennen sich unsere Wege. Ich schaue ihnen nach auf ihrem Weg, bevor ich zurück ins Guesthouse gehe, wo ich ein paar liegengebliebene E-Mails abarbeite. Jetzt bin ich ganz allein irgendwo mitten in Afrika. Und einen Moment lang fühle ich mich schrecklich einsam und habe einen Anfall von: Was mache ich hier eigentlich? In diesen Momenten helfen zwei Dinge: Auf die Wetterkarte von Berlin zu schauen, das noch immer im Februargrau liegt und auf die Straße zu gehen. Auf Jambo mit Jambo zu antworten, auf Karibu mit Assante (danke). Mir ein Essen zu bestellen und stolz darauf zu sein, dass ich den Fisch mit der rechten Hand esse. Einen Löffel bekomme ich nicht und auf der mit Gerhard erstellten Wörterliste steht das Wort nicht. Gut gesättigt und froh über meine ersten kleinen Schritte allein in einem fremden Land denke ich daran, wie ich mich von Andrea und Gerhard vor fünf Jahren in Addis Abeba verabschiedete. Damals flog ich drei Wochen später zurück nach Deutschland und hatte einen Romanstoff im Gepäck, der mich drei Jahre beschäftigte. Ich bin gespannt, was ich diesmal mit nach Hause bringen werde.
von Dorrit Bartel 30 Dez., 2022
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