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Corona im Senegal - Zwanzig Monate später

Dez. 26, 2021

Ich bin zurück. Im Wohnzimmer meiner Freundin Khady, wo wir am Anfang der Pandemie saßen und die Bilder aus Bergamo sahen. Damals nickte ich, als sie irgendwann sagte: „Ich komme mir vor wie in einem schrecklichen Film.“


Ich bin wieder in Dakar. Damals war der weltweite Flugverkehr praktisch zum Erliegen gekommen, ich saß fest und wusste nicht, wann ich nach Hause kommen würde. Die Welt war aus den Fugen geraten, etwas war geschehen, von dem noch niemand sagen konnte, wohin es führen würde. So gern ich in Dakar und bei meinen Freunden war, wollte ich in dieser Situation doch lieber in meiner Wohnung in Berlin sein und in der Nähe meiner Familie. Als ich nach drei Wochen bangen Wartens einen Evakuierungsflug nach Köln bekam, fühlte ich mich allerdings schlecht: Die Prognosen für Afrika in dieser Pandemie waren verheerend. Und ich reiste ab ins vermeintlich sicherere Europa und ließ meine senegalesischen Freunde dans la merde zurück.


Nun, zwanzig Monate später komme ich aus dem wieder lockdownbedrohten Deutschland und erlebe ein munteres Dakar, in dem der Optimismus die Oberhand behalten hat. In Ouakam, dem Viertel, in dem ich bei Khady wohne, wird gebaut – an jeder Ecke, in jeder Straße entstehen neue Häuser oder die vorhandenen werden aufgestockt. Leider auch das, in dem Khady wohnt, wie ich schnell feststelle. In Berlin hatte ich ebenfalls in den letzten Monaten eine Baustelle vor dem Fenster. Meine Hoffnung, es hier etwas ruhiger zu haben, bewahrheitet sich leider nicht. Als ich mich über den Lärm beklage, sagt Khady mit dem hier typischen Achselzucken: „Drei Monate hieß es, jetzt sind es schon zehn.“ Das kommt mir sehr bekannt vor. Während ich in Berlin jedoch deswegen zwischen Wut und Verzweiflung schwanke, schließe ich mich hier dem Achselzucken an.


Die kleinen Geschäfte, die in jenen ersten Wochen der Pandemie freiwillig schlossen, haben wieder geöffnet, nichts mehr ist von der damaligen fast gespenstischen Stille zurückgeblieben. Einige Geschäfte haben nicht überlebt. Vielleicht hätten sie es ohnehin nicht? Leid tut es mir um die kleine Reinigung, die eine junge, sympathische Frau betrieben hatte, die mir meine gewaschene Wäsche vorbeibrachte, nachdem sie herausgefunden hatte, wo ich wohne. An der Stelle ihres Geschäfts befindet sich jetzt ein Friseur. Wo mag sie jetzt sein?


Ich bedaure auch, dass es den kleinen Shop nicht mehr gibt, in dem es Bier und Wein gab. In einem muslimischen Land ist der Weg zu Alkohol eben etwas weiter – in meinem Fall brauche ich jetzt knapp zwanzig Minuten Fußweg bis zum Supermarkt. Ich könnte ein Taxi nehmen, aber das lohnt kaum, schneller bin ich bei den allgegenwärtigen Staus in Dakar damit auch nicht. Und am Abend meiner Ankunft bin ich einfach zu müde für das übliche Verhandeln mit den Taxifahrern. Meine Energie dafür habe ich am Morgen schon verbraucht, als ich vom Busbahnhof zu Khady fuhr. 2000 CFA (etwa 3,20 €) soll es maximal kosten, hatte sie mir geschrieben. Der erste Taxifahrer wollte das Doppelte, mit dem zweiten einigte ich mich auf 3000 CFA, zu erschöpft für weitere Verhandlungen nach einer Nacht im Flugzeug, einer Stunde am Flughafen mit Pass- und Impfausweiskontrollen und einer weiteren im Bus vom Flughafen und mit dem Gepäck für etwa drei Monate.  


Inzwischen habe ich zwar eine Stunde geschlafen, aber den Schlafmangel noch nicht wirklich kompensiert, und mache mich knapp nach Sonnenuntergang auf den Weg zum Supermarkt, denn für den Temperaturanstieg von etwa 25 Grad wird mein Körper ein paar Tage brauchen. Tapfer trage ich mein Gazelle, das einheimische Bier, vom Supermarkt durch staubige Straßen, vorbei an unzähligen halbfertigen und doch bewohnten Häusern und angepflockten Ziegen und registriere eine neue Djibiterie, ein hiesiger Imbiss, der hauptsächlich frisch auf Holzkohlefeuer geröstete Fleischspieße anbietet. Ich weiche Pferdewagen und Autos aus, deren Staubwolken mich einhüllen. Ich grüße die Kinder, die höflich Bonjour sagen, wenn ich vorbeigehe, lächle den Bananen- und Erdnussverkäuferinnen an den Straßenecken zu und freue mich, wenn sie mein Lächeln erwidern.

Im Supermarkt ist das Tragen von Masken Pflicht, in den kleinen Shops scheint es fakultativ zu sein – oder wird zumindest so gehandhabt. Draußen tragen nur wenige Menschen Masken, ansonsten allenfalls noch die Taxifahrer und sehr selten Leute in privaten Fahrzeugen.


Das hatte ich in den Informationen des Auswärtigen Amts gelesen: Masken seien in Privatfahrzeugen mit mehr als zwei Insassen Pflicht, Nichteinhaltung werde streng bestraft. Also fragte ich Khady, als ich nachmittags zu ihr und den Kindern ins Auto stieg. Sie winkte ab. Später erzählt sie, dass es hier offenbar viele asymptomatische Verläufe von Corona-Infektionen gegeben habe. Ihre Schwägerin, die aus Frankreich zu Besuch kam, hatte sich kurz vor ihrem Heimflug testen lassen und so erst festgestellt, dass sie sich infiziert hatte.


Zum Eigenschutz habe ich mir in Berlin kurz vor meinem Abflug noch eine dritte Impfung abgeholt, aber auch, um hier diejenigen zu schützen, denen ich nahekomme, weil wir in einem Haushalt wohnen. So jedenfalls war meine Überlegung, doch im Grunde kümmern sich die Menschen hier wenig um Corona. Khady ist doppelt geimpft. Ihr Mann nicht, obwohl es inzwischen kein Problem mehr ist, an die Impfung zu kommen. „Wir essen dauernd Chili, Zitrone, Knoblauch, das hilft unseren Abwehrkräften“, sagt Khady und ich frage mich, was Wissenschaftler wohl irgendwann zum Verlauf der Pandemie in Afrika sagen werden. Dass die vorhergesagte Katastrophe ausblieb, kann nicht nur an Zitrone und Chili liegen. Die junge Bevölkerung ist sicher ein Grund und die Tatsache, dass sich bei den hiesigen Temperaturen das Leben zumeist draußen abspielt. Und doch gibt es hier viele Gelegenheiten, bei denen sich das Virus ausbreiten könnte; schon am Nachmittag meiner Ankunft essen wir wie immer: nah beieinandersitzend gemeinsam senegalesischen Reis mit Gemüse und Fisch von einer großen Platte. Und am nächsten Abend schläft Khadys zweijähriger Sohn Bilal abends in meinen Armen ein. Die Sicherheitsmaßnahmen, die wir vor zwanzig Monaten beachteten, haben sich nicht durchgesetzt.


Jedenfalls haben wir das Thema Corona innerhalb kürzester Zeit abgehandelt und können uns sehr bald wieder auf das Wesentliche konzentrieren: Dass wir Zeit zusammen verbringen können. On est ensemble.

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