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Eine gute und eine schlechte Nachricht - Teil 2

Dez. 05, 2021

Wohl ist mir nicht bei dem Gedanken, dass Adane jetzt im Kriegsgebiet Flüchtlingsunterkünfte baut, aber er hat keine Wahl. Unruhig warte ich auf Nachricht. Nach vier Tagen höre ich von ihm.


„Die Pläne haben sich geändert. Ich gehe nach Djibouti.“

„Ist es dort sicher?“


Adane holt etwas weiter aus: Als er in Addis Abeba angekommen ist, von wo aus er mit achtzehn weiteren äthiopischen Bauarbeitern für das Internationale Rote Kreuz nach Dese fahren sollte, ist der Plan aus Sicherheitsgründen aufgegeben worden. Alle Bauarbeiter sind nach Hause geschickt worden. Sie sollen sich bereithalten, für bald, wenn die Lage sich verbessert hat. Der Schotte, der ihnen dies mitteilte, erzählte Adane auch, dass es noch ein anderes Problem gibt: Die Teile für die Fertighäuser, die an vier verschiedenen Standorten in Äthiopien errichtet werden sollen, liegen noch am Hafen in Djibouti. Aber: Es gibt niemanden, der die Ladung so aufteilen kann, dass die Teile korrekt auf alle vier Orte verteilt werden. Niemand kennt sich mit Fertighausbau aus. Adane zögert nicht eine Sekunde. „Ich kann das. Ihr kennt meine Referenzen und wisst, dass ich Ahnung vom Bau habe. Fertighäuser habe ich schon gebaut.“ In Singapur, aber das sagt er nicht, es würde nur verwirren: Ein Äthiopier mit deutschen Zeugnissen, der in Singapur Fertighäuser gebaut hat. Eine zu lange Geschichte für den Schotten, dessen Gesicht sich aufhellt. Zeichnet sich hier eine Lösung für sein Problem ab? Vor seinem nächsten Satz holt Adane tief Luft: „Für fünfhundert Euro pro Tag mache ich das.“

Ich sehe förmlich, wie der Schotte die Augen aufreißt. Eben noch sollte Adane für zwölf Euro am Tag Häuser bauen. Andererseits: Irgendjemand muss die Teile von Djibouti aus verteilen. Er muss das mit seinem Chef besprechen. Eine halbe Stunde später ist der Deal besiegelt. Adane bekommt zwei Tage für seinen Auftrag und tausend Euro. Dafür hätte er ein halbes Jahr arbeiten müssen.


Als Adane mir das erzählt, ist er schon in Dire Dawa, etwa 150 Kilometer von der Grenze zu Djibouti entfernt; morgen fährt er dorthin. Sicher sei es, denn die Grenze zwischen Äthiopien und Djibouti ist gut bewacht – von beiden Seiten. Adane hat das Geld schon bekommen und vor allem auch seinen Status verbessert. Ein paar Tage zuvor noch ist er noch mit einem Sammelminibus von Dire Dawa nach Addis Abeba gefahren, jetzt ist er von Addis aus geflogen. Und man hat ihm nicht nur das Flugticket bezahlt, sondern auch einen Wagen mit Chauffeur geschickt, der ihn vom Flughafen ins Hotel gebracht hat – in eines der besten Häuser am Platz.


„Und da hast du dir gleich eine Runde Kat gegönnt?“, frage ich, denn mir fällt auf, dass seine Sprache ein bisschen verlangsamt ist. So, wie ich es von den Männern in den nachmittäglichen Katrunden kenne, bei denen ich 2018 zu Gast war – ohne selbst zu kauen.

Entrüstet verneint Adane. „Aber ich musste vorhin mit dem Schotten Whisky trinken. Zwei Single Black Label – und das, nachdem ich seit fast zwei Jahren nicht einen Tropfen Alkohol getrunken habe.“



Bevor wir uns verabschieden, bittet er mich ein bisschen kleinlaut: „Drück‘ mir die Daumen, dass ich das jetzt auch wirklich hinkriege.“

„Klar kriegst du das hin. Aber jetzt solltest du besser schlafen. Melde dich, wenn du zurück bist.“

Und während Adane in Dire Dawa hoffentlich gut schläft, freue ich mich darüber, dass ihn das Glück auch diesmal nicht verlassen hat. Es zieht sich durch sein ganzes Leben: Auf größte Verzweiflung folgt ein Glücksfall. Er hat nie aufgehört, darauf zu vertrauen.

 

Ein paar Tage später meldet er, dass in Djibouti alles bestens gelaufen ist und der Schotte ihn gerade zu seinem Helden erklärt hat. Vielleicht verhilft er Adane sogar zu einer neuen beruflichen Perspektive. Die Finger einer Hand reichen nicht, um zu zählen, der wievielte Neustart in seinem Leben es wäre.

 

Wann die Flüchtlingsunterkünfte gebaut werden, weiß im Moment niemand. Der Bürgerkrieg breitet sich immer weiter aus. Inzwischen haben die westlichen Botschaften ihre Staatsbürger aufgefordert, alle noch möglichen regulären Flüge zur Ausreise zu nutzen. Man rechnet damit, dass der Krieg auch in die Hauptstadt kommt. Und ich denke daran, wie naiv ich 2018 war, als ich mich von Adane verabschiedet habe. Er sagte damals: „Hoffentlich sehe ich dich wieder.“

„Klar“, sagte ich, „spätestens in zwei Jahren komme ich und wir sprechen über das Buch, das ich über dein Leben schreibe.“

In meiner Welt schien das so einfach. Zwar hat auch hier die Sicherheit durch Corona einen Knacks bekommen. Doch in Adanes Welt ist Corona das kleinere Übel, die Unsicherheiten waren schon immer größer. Wieder einmal frage ich mich, woher er immer wieder seinen Optimismus nimmt und die Kraft, weiterzumachen und auf den nächsten Glücksfall zu vertrauen.

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