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Eine gute Nachricht aus Äthiopien

Dez. 29, 2021


Nein, die gute Nachricht ist leider nicht, dass der Krieg in Äthiopien vorbei ist. Zwar hat sich die Rebellenarmee der TPLF zu Friedensverhandlungen bereiterklärt, was ein Fortschritt ist, aber ob Regierung und Rebellen sich einigen werden und wie lange es dauert …


Und doch gibt es gute Nachrichten von Adane, der seinen zuletzt ausgeübten Beruf als Touristenguide zuerst corona- und dann kriegsbedingt seit März 2020 nicht mehr ausüben kann. Er hielt sich und „seine“ Kinder mit Spenden aus Deutschland und schlechtbezahlten Jobs auf dem Bau über Wasser. Glücklicherweise haben die beiden ältesten „seiner“ Kinder inzwischen eine Ausbildung und ein Studium abgeschlossen und unterstützen ihn von ihrem Lohn. Und er selbst verdient auch wieder regelmäßig Geld. Wenn es gut läuft – was man in einem Land wie Äthiopien nie wissen kann – hat er gerade den letzten beruflichen Wechsel seines Lebens vollzogen. Mit Mitte sechzig.


Als ich ihn am zweiten Weihnachtsfeiertag anrufe, ist er überrascht: „Ich versuche seit Tagen erfolglos, Freunde und Bekannte in Europa anzurufen, aber offenbar sind die Leitungen gekappt. Aber innerafrikanisch klappt es. Wow.“


Ich bin nämlich in Dakar, verbringe mein erstes afrikanisches Weihnachten und bin noch ganz begeistert davon, bei 25 Grad Außentemperatur um einen künstlichen Weihnachtsbaum zu tanzen und Let it snow mitzugrölen. Wir müssen beide darüber lachen, ehe Adane erzählt, dass er Weihnachten in diesem Jahr ausfallen lassen musste. Ohnehin ist das Weihnachtsfest in Äthiopien im Dezember immer sehr exotisch, denn das orthodoxe Weihnachtsfest ist dort erst am 7. Januar. Aber mit Gott hat Adane es nicht so. Und da er sich nach mehr als 20 Jahren, die er in Deutschland gelebt hat, als halber Deutscher fühlt, hat er jedes Jahr für „seine“ Kinder deutsche Weihnachten veranstaltet. Mit einem selbstgepflückten Baum (ich korrigiere diesen seltenen Fehler in seinem Deutsch nicht) und Geschenken. Im vergangenen Jahr war das Geschenk für jedes Kind ein Kugelschreiber, die er irgendwo als Werbegeschenke abgestaubt hatte.


In diesem Jahr gab es nicht einmal das, denn er hatte kein Geld und auch keine Zeit, um irgendwo Werbegeschenke aufzutreiben. Denn alle Zeit und sein letztes Geld (zusammen mit Geld von deutschen Freunden) sind in eine Schreinerei geflossen, deren Teilhaber er seit neuestem ist. Ich hatte das alles nur am Rande verfolgt, weil ich zu sehr mit meiner Abreise nach und meiner Ankunft in Afrika beschäftigt war. Erst jetzt haben wir Zeit, ausführlich darüber zu sprechen. Der Vorbesitzer der Schreinerei ist im Krieg gefallen – einer von Tausenden. Seine Witwe wollte die Schreinerei für 10.000 Euro verkaufen, was Adanes Mittel weit überstiegen hätte. Also machte er ihr einen Vorschlag: Sie bekommt sofort 2000 Euro und bleibt Teilhaberin. Auf lange Sicht ist das für sie besser als eine einmalige Summe. Und nun ist Adane Teilhaber einer gutgehenden Schreinerei, die in der Vergangenheit vor allem für die Regierung gearbeitet hat. Und Adane hat selbst bereits einen Regierungsauftrag akquiriert.


„Ich arbeite sechzehn Stunden am Tag“, sagt er und ich habe ihn lange nicht so glücklich gehört.


„Ich dachte, Du bist der Chef und lässt arbeiten?“


„In acht Monaten etwa wird es vermutlich etwas besser. Ich habe nur einige der früheren Angestellten übernommen, die ich erst anlernen muss. Zum Teil haben sie vorher nur als Helfer gearbeitet und noch nie eine der Maschinen angefasst.“


Jetzt zahlt sich nicht nur Adanes deutsche Ausbildung auf dem Bau aus, sondern auch die Tatsache, dass er für die Philip Holzmann AG auch als Ausbilder gearbeitet hat.


„Vor allem habe ich Frauen eingestellt. Ich wusste nicht, dass mich Kinder so rühren. Wenn eine Frau mit drei oder vier Kindern vor mir steht, die sie allein durchbringen muss, kann ich nicht nein sagen. Jetzt habe ich elf Frauen und sieben Männer als Angestellte.“


„Du bist also zuversichtlich, dass du genug Aufträge bekommen wirst?“


„Der Mann vom Bildungsministerium meinte, dass ich bestimmt die nächsten drei Jahre gut zu tun haben werde.“


„Weil im Krieg so viel zerstört wurde?“


„Ganz genau. Jetzt sorgt der Krieg, den ich so sehr hasse, dafür, dass ich Geld verdiene…“


Ich kann förmlich sehen, wie er darüber den Kopf schüttelt, nicht sicher, welches Gefühl überwiegt: Der Hass auf den Krieg oder die Erleichterung darüber, wieder arbeiten zu können. Die Pause zwischen uns ist die, die sich immer in unsere Gespräche schleicht, wenn das Thema zu komplex ist. Am Ende der Pause sagt Adane: „Ich wünschte, du könntest dich jetzt – nur für dreißig Minuten oder so – von Dakar hierher beamen, damit ich dir meine Werkstatt zeigen kann.“


„Vielleicht macht ihr ja wirklich Frieden. Dann kann ich Dich bald besuchen. So richtig, mit Flugzeug und für länger und so.“


„Das wünsche ich mir von ganzem Herzen.“


Dem schließe ich mich mit ganzem Herzen an: Möge das nächste Jahr Frieden für Äthiopien bringen.  



Foto: Adane an der Werkbank.

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