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Eine gute und eine schlechte Nachricht - Teil 1

Dez. 05, 2021

„Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht“, begrüßt Adane mich am Telefon irgendwann Mitte November.


Die gute Nachricht ist, dass er einen Job hat. Er wird – zusammen mit internationalen Kollegen vom Roten Kreuz und vom Roten Halbmond – Flüchtlingsunterkünfte in Dese bauen, einer Stadt in der vom Krieg betroffenen Provinz Amhara. Endlich wieder eigenes Geld verdienen. Und weil Adane einen Meisterbrief als Maurer/Fliesenleger aus Deutschland hat, wird er sogar zwölf Euro am Tag verdienen, für äthiopische Verhältnisse gutes Geld. Wobei man das mit dem guten Geld nur in Relation zu anderen Einkommen sehen darf, in einem Land, in dem z.B. Benzin teurer ist als in Deutschland, sind auch zwölf Euro pro Tag kein wirklich guter Verdienst.


Die schlechte Nachricht ist, dass in Dese bei Kämpfen zwischen Rebellen und der äthiopischen Armee am Tag zuvor 480 Menschen umgekommen sind. Es ist kein Ort, an dem irgendjemand jetzt sein möchte. Auch Adane nicht, aber er hat keine Wahl. Denn beinahe zeitgleich mit dem Angebot bestätigte sich das Gerücht, das bereits seit Beginn des Sommers die Runde machte: Die Schulgebühren werden massiv erhöht. Die Staatskassen sind leer, und viele Lehrer sind in den Krieg gezogen. Die Schulgebühren sollen den Städten und Gemeinden die Möglichkeit geben, neue Lehrer einzustellen. Immerhin sei das für ein ganzes Jahr, sagt Adane. Den wütenden Eltern, die nach dieser Meldung im ganzen Land protestierten, versprach Ministerpräsident Abiy Ahmed, es sei das letzte Mal, dass die Eltern überhaupt Schulgebühren zahlen müssten, solange er und seine Partei an der Macht bleiben.

„Rechnet Abiy damit, nicht mehr lange an der Macht zu bleiben?“, frage ich sarkastisch.

Adane lässt meine Bemerkung unkommentiert. Ihn kostet die Entscheidung zweihundert Euro, denn er schickt zehn Kinder zur Schule. Ich sage ihm zu, mein Versprechen vom Anfang des Sommers einzulösen und das Schulgeld aufzutreiben. Wenigstens kann ich etwas tun, was mich davon ablenkt, wie traurig mich das alles macht. Ich habe Äthiopien 2018 als ein freundliches Land kennengelernt, dessen Bewohner hoffnungsvoll in eine Zukunft blickten, die sie selbst gestalten wollten. Große Hoffnungen ruhten auf Abiy Ahmed, der nun eine von zwei Kriegsparteien anführt. In einem Krieg, in dem es für viele Äthiopier nur noch ums Überleben geht.


Wir telefonieren am nächsten Tag erneut, inzwischen hat meine Mutter freundlicherweise das Schulgeld für Adane und die Kinder zur Verfügung gestellt. Dafür hat sich die Situation in Dese verschlechtert: In der Nacht sind alle internationalen Arbeiter evakuiert und nach Addis Abeba gebracht worden. Die äthiopischen Arbeiter werden also allein die Flüchtlingsunterkünfte bauen.


„Das bedeutet natürlich, dass ihr nicht mehr so gut geschützt seid.“


„Ganz genau. Ich habe mein Testament gemacht. Damit die Kinder dann wenigstens das Haus haben, das ich für alle gebaut habe. Und das Geld, das ich jetzt verdiene.“


Ich schweige. Was soll ich darauf schon antworten? Was soll aus den Kindern werden, wenn Adane nicht mehr ist? Als hätte er meine Gedanken erraten, sagt er: „Wenn ich es bloß so lange schaffe, bis alle Kinder wenigstens einen Zehnte-Klasse-Abschluss haben. Damit können sie einen Job finden. Es ist das Einzige, was ich noch erreichen muss.“

„Das wirst du“, sage ich mit dem schwachen Versuch, überzeugend zu klingen.

Offensichtlich gelingt das nicht wirklich gut, denn Adane sagt: „Mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut gehen.“


Dann zählt er auf, was man ihnen versprochen hat: „W-LAN. Ich kann dich also anrufen. Einzelunterkünfte. Wir Äthiopier bekommen normalerweise Mehrbettzimmer, aber das wollen die internationalen Arbeiter nicht. Die sind jetzt weg und also sind die Zimmer frei. Wie es mit Essen aussieht, weiß ich nicht. Ich nehme Gerste mit.“


Gerste, das habe ich von Adane gelernt, ist sehr proteinhaltig und außerdem gut verfügbar, deshalb bietet sie sich an für die Verpflegung unterwegs. Man kann verschiedene Gerichte daraus bereiten, am einfachsten ist Brei. Auf der letzten Baustelle, auf der Adane gearbeitet hat, hat er wochenlang Gerstenbrei gegessen, weil es nichts anderes gab.


Eine Frage muss ich noch stellen: „Haben die Kinder meine Kontaktdaten?“

„Sie haben alles. Wenn ich tot bin, werden sie sich bei dir melden.“


Ich verkneife mir den Satz, der mir auf der Zunge liegt: So habe ich es nicht gemeint. Denn ich habe es so gemeint und wir wissen es beide. So sage ich nur wie immer: „Lass von dir hören.“ Und füge hinzu: „Pass auf dich auf.“   


„Das mache ich.“

Hoffentlich wird das reichen.


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