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Sommerferien auf äthiopisch - Teil 3

Nov. 28, 2021

Im späten Oktober telefoniere ich mit Adane, als er gerade die Rückkehr der Kinder nach Hause und in die Schule vorbereitet. Dafür braucht er einen Minibus. Den zu besorgen, ist im kriegsgezeichneten Äthiopien eine Herausforderung. Die Benzinpreise sind in den letzten Monaten um ein Vielfaches gestiegen, sie sind inzwischen höher als in Deutschland. Glücklicherweise hat Adane einen reichen Bruder, der ihn unterstützt. Die Organisation der Rückreise wird noch dadurch erschwert, dass die Kinder in Kenia nicht – wie von Adane gewünscht – zusammen an einem Ort geblieben sind. Jedes Mädchen hat einen anderen Blutsverwandten besucht und nun muss Adane die Information über die Rückreise an viele Orte in der kenianischen Savanne bringen. Nicht überall gibt es Telefone, so dass manchmal auch die „Post auf zwei Beinen“ entsandt werden muss. Insgesamt aber ist Adane optimistisch, rechtzeitig zu Schulbeginn mit den Kindern wieder in Chelenko zu sein.

„Schick Fotos“, bitte ich ihn noch, denn ich möchte meine Texte im Blog gern bebildern.


Fotos bekomme ich nicht, denn als Adane eine Woche später anruft, ist er froh, dass er nun mit allen Kindern heil in Yabello, einer Stadt im Süden Äthiopiens, angekommen ist. Es hatte nämlich viele Meldungen über Überfälle in der Savanne gegeben, so dass er sich entschloss, einen anderen Weg nach Yabello zu nehmen, der einen Umweg von etwa 80 Kilometern bedeutete. Wegen dieses Umwegs konnten die Kinder nicht noch einmal bei ihren Eltern in der Savanne vorbeifahren, um sich zu verabschieden. Es schien einfach zu gefährlich.


„Morgen früh um drei Uhr fahren wir los nach Chelenko“, sagt Adane.

„Dürft ihr nachts überhaupt fahren?“

Mit der Meldung über den jetzt im ganzen Land herrschenden Ausnahmezustand hat es Äthiopien dieser Tage mal wieder in die deutschen Hauptnachrichten geschafft.

„Ja, das ist erlaubt. Es gibt nur dauernd Kontrollen auf Waffen. Aber die machen uns nichts aus, denn wir haben ja nichts. Und dann sind wir morgen Abend oder allerspätestens übermorgen Vormittag in Chelenko.“

„So schnell? Es sind doch bestimmt 800 Kilometer?“

„Der Fahrer ist schnell.“


Ich zweifle still, denn ich erinnere mich noch gut an eine knapp zwölfstündige Autofahrt von Addis Abeba nach Bahir Dar. Fünfhundert Kilometer über holprige äthiopische Straßen. Dabei war das schon eine ziemlich neue Straße, die allerdings schon wenige Jahre nach ihrer Errichtung tiefe Bodenwellen auswies. So schlecht bauen die Chinesen in Afrika, hatte ich damals gehört. Aber ich möchte nicht die Besserwisser-Weiße sein und bitte Adane nur noch einmal um Fotos. Er verspricht, mir welche zu schicken.


Überrascht bin ich nicht, als Adane erst drei Tage später meldet, dass die Kinder in Chelenko angekommen sind.

„Du warst wohl doch etwas zu optimistisch.“ Das kann ich mir nicht verkneifen.

„Afrikanisch eben“, sagt Adane und ich bin nicht sicher, ob er seinen Optimismus oder die lange Fahrt meint. Dann gesteht er mir, dass ich leider keine Fotos bekommen kann, denn er hat sein Telefon unterwegs bei einem Überfall eingebüßt. Irgendwo auf der Strecke waren sie von maskierten, bewaffneten Männern angehalten und zur Herausgabe ihrer Wertsachen gezwungen worden. Bei Adane selbst gab es nur das Telefon zu holen, bei dem Fahrer leider das ganze Geld, das Adane ihm vor der Fahrt bezahlt hatte. „Zum Glück hatte ich ihn vorher bezahlt. Er hat mir sehr leidgetan, aber ich habe kein Geld, um ihn noch einmal zu bezahlen.“   

Der Fahrer meinte übrigens, an den Stiefeln der Räuber erkannt zu haben, dass es sich um Soldaten der äthiopischen Armee und nicht sonst üblichen Banden gehandelt hätte. Immerhin waren sie so freundlich, den Beraubten ihre SIM-Karten zu überlassen. „Vermutlich, damit wir die Telefone nicht orten können.“


Die Fotos hatte Adane auf dem Telefon gespeichert, aber inzwischen sind mir die Fotos egal, ich bin froh, dass nichts Schlimmeres passiert ist. Adane selbst hat den Überfall ebenfalls gedanklich abgehakt, er muss sich um die Anmeldung der Kinder in der Schule kümmern und darum, endlich wieder Geld zu verdienen. Vielleicht bekommt er einen Auftrag vom Internationalen Roten Kreuz, das an den Rändern der Kriegsgebiete in den Provinzen Amhara und Tigray Flüchtlingsunterkünfte bauen will. Er ist mit einem Chef der Organisation in Verhandlung. Vielleicht zahlt es sich jetzt noch einmal aus, dass Adane in Deutschland sowohl Gesellen- als auch Meisterbrief auf dem Bau erworben hat.


Am Nachmittag bekomme ich dann doch noch ein Foto – in schlechter Auflösung, aber immerhin – von einigen der Mädchen: Erholt, wieder zu Hause und voller Vorfreude darauf, wieder zur Schule gehen zu können.


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