Senegal

Straße in Dakar im Sonnenuntergang
von Dorrit Bartel 14 März, 2024
Nach fast vier Monaten im Senegal fliege ich in morgen zurück nach Berlin und es ist Zeit für ein Resümee. Ich wandere noch einmal durch die Straßen an die Orte, die in den letzten Monaten mein Zuhause waren und ahne schon jetzt, was ich vermissen werde und was nicht, wenn ich in mein anderes Zuhause in Berlin zurückkehre. Sieben Dinge, die ich vermissen werde Die farbenfrohe Kleidung Man sollte meinen, irgendwann nutzt sich das Staunen über all die Farben und Muster ab, in die hier sowohl Männer als auch Frauen gewandet sind. Doch auch nach Monaten gibt es noch Momente, in denen ich den Männern am liebsten die Kleider vom Leib reißen möchte, nicht wegen der Dinge darunter, sondern nur, weil ich gern genau diesen Boubou hätte. Den Mittagsruf des Muezzins Eigentlich ruft er zum Gebet, aber damit kann ich als Atheistin nicht so viel anfangen. Mich lässt der immer pünktliche Ruf um 14 Uhr rasch prüfen, wie weit ich mit meinem Tagwerk gekommen bin. Und mahnt an die Endlichkeit des Arbeitstages. Die Ziegen Selbst in einer Millionenstadt wie Dakar halten sich die Menschen Tiere, vor allem Ziegen, Hühner und Pferde. Abends, wenn die Stadt allmählich still wird, übernehmen die Ziegen die Geräuschkulisse. Auf dem Balkon sitzend lausche ich ihren „Gesprächen“, was eine Illusion von mich umgebender Natur schafft. Sonne und Meer Insbesondere die Kombination aus beidem, am Strand zum Sonnenuntergang. Senegalesisches Fastfood Fastfood bedeutet für mich hier hauptsächlich: Fleischspieße und Erdnüsse. Erdnüsse gibt es hier an jeder Ecke, man kann sie im Vorbeigehen kaufen, es ist eher ein Mitnehmen als ein Einkaufen. Die Verkäuferinnen sitzen auf dem Bürgersteig, man kann den Frauen oft zusehen, wenn sie sie rösten. Die kleinen Tütchen mit vielleicht 25 Gramm Inhalt kosten etwa 7 Eurocents und helfen, wenn die nächste Mahlzeit noch auf sich warten lässt. Die Dibiterie, in der ich ein oder zwei Mal pro Woche meine Fleischspieße (5 Stück für circa 1,50 €, sie sind aber kleiner als die, die ich von zu Hause kenne) kaufe, liegt zwei Minuten zu Fuß entfernt. Dibiterien sind kleine Stände oder Läden, in denen Fleisch (Huhn oder Rind) auf Holzkohlegrill zubereitet werden. Die Fleischspieße werden am Anfang des Abends gegrillt, in einem Glasschrank aufbewahrt und bei Bestellung noch einmal für einige Minuten auf den Holzkohlegrill gelegt. Der Running Gag zwischen den Verkäufern und mir ist, dass sie mich jedes Mal mit einem breiten Grinsen fragen, ob ich Chilisoße dazu haben möchte. „Aber ich werde davon sterben“, sage ich und beschränke mich auf gebratene Zwiebeln und Senf als Zugabe, was sie längst wissen. Trotzdem fragen sie mich jedes Mal wieder. Den Hausmeister Egal, ob am Abend eine Glühbirne ausfällt, der Strom zu Ende geht (man kauft den hier via Bon auf Vorrat und gibt die Nummer des Bons in ein Gerät in der Wohnung ein), ob mir ein Schuh kaputtgegangen ist oder das Internet ausfällt – Souleiman weiß Rat: Wechselt die Glühbirne, bringt den Schuh zum Schuster oder kann mir sagen, dass das mit dem Internet in der ganzen Straße so ist und nur Geduld hilft. Souleiman öffnete mir bei meiner Ankunft im November nachts um eins die Tür und wird auch morgen Nachmittag helfen, meinen Koffer in ein Taxi zu verfrachten. Bei alledem hat Souleiman immer gute Laune. Wann immer wir uns im oder vor dem Haus begegnen, wechseln wir ein paar Worte miteinander und der Tag wird sofort freundlicher. Kleine, freundliche Kontakte überall Überhaupt lebt die Atmosphäre hier von all den kleinen Momenten der Interaktion. Ein Lächeln oder ein Kompliment im Vorbeigehen. Das Bonjour eines fremden Kindes auf der Straße. Ein kurzes Gespräch an der Supermarktkasse oder nebenan in den Boutiquen, die eine Mischung aus Späti und Tante-Emma-Laden sind. Dabei geht es um das Wetter, eine erwartete Warenlieferung, Fußball oder Politik. Oder darum, dass ich aus Umweltgründen immer einen Stoffbeutel dabeihabe. Was gut sei, findet der Boutiquier, der gar nicht mehr nach einer Plastiktüte greift, wenn ich bei ihm einkaufe. Sieben Dinge, die ich hingegen nicht vermissen werde Die unzuverlässige Infrastruktur Die Infrastruktur funktioniert zwar schon viel besser als noch vor einigen Jahren, aber Aussetzer gibt es immer noch: Mal fällt der Strom für eine Stunde aus, mal das Internet für einen ganzen Tag und zwei Mal während der vergangenen Monate gab es kein fließendes Wasser. Es gilt, immer auf Ausfälle vorbereitet zu sein: Wasservorräte in Zehnliterflaschen regelmäßig aufzufüllen, ein Datenpaket auf dem Telefon zu haben, den Akku meines Laptops besser nie bis zum letzten auszureizen und immer eine geladene Taschenlampe greifbar zu haben. Ich habe mich an all das gewöhnt, aber es bedeutet eben, diese Dinge immer im Blick zu behalten. Den Morgenruf des Muezzins Der kommt irgendwann zwischen fünf und sechs Uhr morgens, also zu einer Zeit, zu der ich ungern geweckt werde, was aber in etwa der Hälfte meiner hiesigen Nächte passiert. Wenn es ganz schlecht läuft, gelingt es mir danach nicht mehr, noch einmal einzuschlafen. Das sind keine guten Tage. Ich weiß nicht, wie die Gläubigen ihre Tage nach dem so frühen Morgengebet in der Moschee absolvieren. Die Baustellen in meiner Straße Ich hoffe sehr, dass die Häuser, an denen in diesem Jahr gebaut wurden, im nächsten Jahr bewohnt sind und es dann keinen Grund mehr gibt für den Lärm von Betonmischern, Hämmern, Kreissägen und ähnlichem Gerät. Allerdings gibt es direkt nebenan eine Freifläche, von der ich fürchte, dass sie schon die nächste Baustelle kennzeichnet. Öffentliche Toiletten An Tagen, an denen ich reise, trinke ich in der Regel sehr wenig, was bei über 30° ein Problem werden kann. Doch ich meide öffentliche Toiletten wann immer es geht. Außerdem trage ich an Reisetagen geschlossene Schuhe, denn mit den Lachen, durch die ich nicht selten waten muss, um eine öffentliche Toilette zu benutzen, möchte ich mit meinen Füßen nicht berühren. Toilettenpapier ist hier ein überschätzter Luxus, meist bin ich schon froh, wenn die öffentlichen Toiletten abschließbar sind, was hier ziemlich oft nicht der Fall ist. Die ergonomisch katastrophalen Arbeitsplätze Ich weiß nicht warum, aber die Stühle hier sind immer zu niedrig für die Tische. Ich habe alles Mögliche ausprobiert, um meine malträtierten Schultern und meinen Rücken ein wenig zu besänftigen, aber ich gestehe: Ich sehne mich nach dem elektrisch höhenverstellbaren Schreibtisch in meinem Berliner Arbeitszimmer. Les Dragueurs Ein Freund behauptet, dass die senegalesischen Männer nach den kongolesischen die schlimmsten Dragueure des Kontinents seien. Dragueure von draguer, was eine schon recht derbe Übersetzung von anmachen, anbaggern ist. Das kann und will ich nicht verifizieren. Vermissen werde ich jedenfalls nicht: Die jungen Männer, die sich zum Beispiel am Strand zu mir setzen, mir ungefragt ihre Lebensgeschichte erzählen und irgendwann einflechten, dass sie auf weiße Frauen stehen und ich ein ganz besonders guter Mensch sei. Ehe ich fragen kann, woher sie das wissen, kommt die wenig dezente Frage, ob ich übrigens verheiratet sei, sie würden sich ansonsten gern zur Verfügung stellen. Taxifahrer Taxifahrer sind in Dakar mein Endgegner. Vor allem die, die kein Französisch sprechen und zwischendurch an die Seite fahren, um Passanten zu bitten, meine Erklärungen zum Fahrtziel ins Wolof zu übersetzen. Taxifahrer, denen ich erkläre, wo die Museen ihrer Stadt liegen oder die mit meinem Smartphone in der Hand versuchen, Google Maps zu lesen. Und das alles meist noch für einen Extra-Weißen-Preis. Und hier noch sieben Erkenntnisse, die ich mitnehme Die demokratischen Strukturen des Senegal funktionieren Es gab Anfang Februar den Versuch des amtierenden Präsidenten Macky Sall, die für Februar geplante Wahl auf Dezember zu verschieben und seine – zweite und letzte – Amtszeit auf diese Art um fast ein Jahr zu verlängern. Einen institutionellen Staatsstreich nannte es die Opposition. Dagegen sind die Senegalesen auf die Straße gegangen und der Verfassungsrat hat die Entscheidung des Präsidenten gekippt. Nun wird mit vier Wochen Verspätung im März gewählt. Das Wahlsystem ist ähnlich dem im Frankreich, es kann also sein, dass nach dem 24. März noch eine Stichwahl nötig wird. Aber dann wird – so ist zumindest im Moment anzunehmen – die Übergabe schnell passieren und Macky Sall abtreten, wenn sein Mandat am 2. April ausläuft. Die Bedeutung des Frauentags Der Internationale Frauentag ist hier durchaus bedeutend, ich bekam morgens einen entsprechenden Gruß von meiner Fußpflegerin, Rückenmasseurin und Schönheitsbehandlerin Génévieve, mit der ich in den letzten Monaten immer wieder sehr schöne Gespräche geführt habe. Auch in diversen Facebook-Posts oder Whatsapp-Status fanden sich Bezüge auf diesen Tag. Die Justizministerin gab anlässlich dieses Tages ein Interview, in dem sie sagt, dass der Senegal sicher eines Tages eine Präsidentin haben wird, aber der Weg dahin noch weit ist. Bei der diesjährigen Wahl findet sich unter den neunzehn Kandidaten eine Frau. Ansonsten sind die Frauen an diesem Tag wie üblich beschäftigt mit Wäschewaschen, Kochen, Kinderversorgen. Für sie bedeutet ein glückliches Leben, einen guten Mann zu haben und Kinder groß zu ziehen. Um die Bedingungen dafür wird gerungen und die Vorstellung davon, was ein guter Mann ist, verändert sich. Ramadan Meine letzten Tage hier erlebe ich die Stadt im Ramadan, etwa neunzig Prozent der Bevölkerung bekennen sich zum Islam und ein großer Teil davon nimmt den Ramadan sehr ernst. Meine Freunde hatten mir gesagt, ich solle dafür sorgen, dass mein Kühlschrank gut gefüllt ist, aber nun stelle ich fest, dass es doch nicht ganz so schwer ist, an Lebensmittel zu kommen: Die kleine Bäckerei in meiner Straße hat geöffnet, ebenso die Boutiquen und Supermärkte. Mein Obsthändler an der Ecke bietet auch dieser Tage eine Auswahl von – in dieser Jahreszeit meist importierten – Früchten an. Einzig die kleinen Läden, in denen sonst mittags lokale Speisen angeboten werden, sind dieser Tage geschlossen. Bessere Restaurants haben zum Teil geöffnet. Bei einem Besuch der Innenstadt spürte ich allerdings die Auswirkungen des Ramadans auf die Stadt. Dort, wo man normalerweise keine zehn Schritte gehen kann, ohne von Straßenhändlern Tücher, Sonnenbrillen, Boubous und andere Kleidungsstücke angeboten zu bekommen, ist es erstaunlich still. Einige der Händler haben ihre Waren zwar auf Mauern oder Tischen drapiert, sie anzupreisen reicht ihre Energie allerdings nicht mehr und sie warten auf Stufen oder auf dem Boden im Schatten dösend offenbar nur darauf, dass sie wieder essen und trinken dürfen. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die Gläubigen um drei Uhr morgens aufstehen, um vor Sonnenaufgang zu essen. Waschmaschinen sind eine tolle Erfindung In Privathaushalten gibt es sie hier selten, man bringt seine Wäsche in eine Wäscherei oder wäscht mit der Hand. Ich habe beides gemacht. Vor allem, wenn es nur ein paar kleine Stücke waren, lohnte sich der Weg in die Wäscherei nicht. Jedenfalls bin ich sehr froh, wenn diese Arbeit zu Hause wieder eine Maschine übernimmt. Ich bin zu nett Einmal – in einem kleinen, gemütlichen Küstenort – wurde ich einmal mehr von einem dieser jungen Männer mit zu viel Tagesfreizeit angesprochen und bat höflich darum, in Ruhe gelassen zu werden, denn ich verhandelte gerade mit einer Marktfrau. Die meinte, dass ich viel zu nett sei und das nächste Mal den Drageur ruhig anschreien solle. Bien noté. African Time Ich werde den etwas anderen Umgang mit Zeit vermutlich nie wirklich verstehen. Ich bin ja eine ziemlich deutsche Deutsche, also in der Regel sehr pünktlich und verbindlich – und frage mich regelmäßig, warum es mich immer wieder nach Afrika verschlägt, wo diese Eigenschaften nicht so verbreitet sind. Ich selbst werde im Taxi schon nervös, wenn sich wegen eines Staus eine Verspätung von etwa zehn Minuten abzeichnet. Und dann warte ich manchmal fast eine Stunde allein irgendwo auf afrikanische Freunde. Manchmal kann ich darüber lachen, wirklich daran gewöhnen werde ich mich wohl nie. Der Winter war zu warm Der Winter in Dakar war in diesem Jahr eindeutig zu warm. Normalerweise liegen die Temperaturen im Januar und Februar irgendwo zwischen 20 und 25 Grad. In diesem Jahr war es auch in diesen Monaten immer um die 30 Grad heiß, Ende Februar hatten wir sogar mal einen Tag mit 38 Grad. Immerhin jetzt, Mitte März liegen wir bei Wintertemperaturen. Ob dieser zu warme Winter ein Ausreißer oder dem Klimawandel zuzurechnen ist, weiß ich nicht. Ich werde hoffentlich Gelegenheit haben, das im nächsten Jahr weiter zu beobachten. Denn das habe ich vor: Im nächsten Jahr wieder einige Wochen oder Monate dort zu sein. Denn ich bin in Afrika ein fröhlicherer Mensch.
Alter Minibus im Senegal
von Dorrit Bartel 15 Jan., 2024
Es gibt ihn hier, den öffentlichen Personennahverkehr, ich habe ihn sogar mal fotografiert. Sehr alte Minibusse, oft so überfüllt, dass junge Männer auf dem Trittbrett mitfahren. Selbst mitgefahren bin ich noch nie. Nicht, dass ich nicht gewollt hätte, aber jedes Mal, wenn ich Freunde danach fragte, wie es funktioniert, sahen sie mich mitleidig bis entsetzt an: „Das willst du nicht wirklich ausprobieren.“ Also fahre ich mit dem Verkehrsmittel, das alle meine Freunde benutzen: dem Taxi. Und vermisse manchmal schmerzlich mein Fahrrad, das sich hier für viele Strecken anbieten würde. Aber Fahrräder gibt es hier sehr wenige, noch weniger als Pferdewagen, die zum Stadtbild und -sound gehören. Die Taxis in Dakar sind orange-gelb, meist französischer Herkunft und sehr alt. Es quietscht, klappert und schleift immer irgendwo, den Sitzbezügen sieht man die jahrzehntelange Nutzung an, sie sind oft so zerschlissen, dass das Schaumgummi hervorquillt. Alles das bemerke ich kaum noch. Was mich anstrengt, sind die Preisverhandlungen. Denn hier wird der Preis für jede Taxifahrt neu ausgehandelt. Ich gestehe, dass ich manchmal mein Viertel nicht verlasse. Denn abgesehen davon, dass es hier eigentlich alles gibt, was ich brauche (ein bisschen wie in Berlin, plus Strand mit fantastischem Sonnenuntergangsblick), ermüdet mich die Vorstellung, erst einmal mit einem Taxifahrer zu diskutieren. Denn natürlich rufen die Taxifahrer bei mir zunächst immer einen etwa doppelt so hohen Preis auf wie bei Einheimischen. Ich handle inzwischen recht gut, erreiche allerdings selten die Preise, die Khady mir vorgibt. Maximum 3500 CFA-Franc, schärft sie mir ein. Das sind umgerechnet immerhin über fünf Euro. Ich lande dann doch oft bei 4000, weil ich aufgebe. Neuerdings gibt es allerdings in Dakar auch so etwas wie Uber, das hier Yango heißt. Weil ich doch hin und wieder andere Viertel besuchen möchte, lade ich mir die App auf mein Telefon. Allerdings kommt der Bestätigungscode, mit dem ich die App aktivieren soll, weder per SMS noch per WhatsApp bei mir an. Ich schreibe also den Support an, der – darüber staune ich sehr – innerhalb einer halben Stunde antwortet. Weiterhelfen kann er mir allerdings nicht. Man kenne das Problem, die senegalesischen Telefonunternehmen ließen diese Nachrichten nicht durch, ich müsse mich also an meinen Telefonanbieter wenden. Da ich am nächsten Morgen verreisen will, habe ich keine Möglichkeit mehr, bei Orange vorstellig zu werden. Also verlasse ich am nächsten Morgen gegen acht Uhr das Haus, um mir ein Taxi zu suchen, das mich zum Gare Routiere Beaux-Maraichers, dem Busbahnhof am anderen Ende der Stadt bringt. Diese Strecke kostet mehr als eine übliche Stadtfahrt, weil es wirklich weit ist. Früher habe ich meist Khadys Chauffeur gebeten, mich abzuholen, nachdem er ihre Kinder zusammen mit einigen weiteren zur Schule gebracht hatte. 5000 war ein durchaus fairer Preis. Aber Khady ist in Kanada und stapft vermutlich dieser Tage mit ihren Kindern durch Schnee zur Schule. Oder nutzt den dort vorhandenen öffentlichen Nahverkehr. Keine angenehme Vorstellung, den Tag mit einer Taxi-Verhandlung zu beginnen, aber ich habe keine Wahl. Um diese Zeit ist die Stadt noch still, nur vor dem Haus putzen zwei junge Männer ihre Autos. Wir nicken einander ein Bonjour zu, und einer fragt mich, ob ich ein Taxi brauche. Ja, schon. Zögernd schaue ich auf das anthrazitfarbene Auto. Er sei Yango-Fahrer, sagt er und könne mich für 4000 dorthin bringen. Ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann. Erst während ich dies niederschreibe, fällt mir auf, dass ich eine der wichtigsten Regeln nicht beachtet habe, nämlich: Steig nie zu Fremden ins Auto. Aber es wäre doch unwahrscheinlich gewesen, dass ausgerechnet Samstagmorgen vor meiner Haustür ein Entführer sein Auto putzt, oder? Am Ende der Fahrt habe ich die Telefonnummer eines Yango-Fahrers, der auch noch direkt nebenan wohnt. Das ist viel besser als eine App, finde ich. P.S. Vom Gare Routiere Beau-Marchaires bin ich schon an verschiedene Orte gefahren. Darüber erzähle ich in meinem Buch „Afrikas Pulsschlag: Begegnungen in acht Jahren und vier Ländern“. Darüber habe ich auch im Podcast habe ich mit Regina Lehrkind gesprochen, hier ist der Link zum Nachhören: https://www.youtube.com/watch?v=ap_i6mJv-Yw&t=17s
von Dorrit Bartel 30 Dez., 2022
Heiligabend in drei Akten
von Dorrit Bartel 20 Dez., 2022
Warum die Schließung meiner Lieblingsstrandbar für Dakar eine gute Nachricht ist
von Dorrit Bartel 26 Mai, 2022
Ich bin pleite. Das stimmt nicht ganz, aber es fühlt sich so an. Ich sitze an einem Februartag in Dakar und habe noch 1500 CFA-Francs in der Tasche, was etwa 2 € entspricht. Gerade bin ich in sengender Mittagshitze auf meist sandigen Wegen zu den drei fußläufig erreichbaren Automaten gestapft, was etwa zwanzig Minuten dauert. Keiner der drei war an diesem Tag bereit, mir Geld zu geben, was nicht an meinem Kontostand liegt. Ich bin wirklich gern in Afrika – wegen der Sonne und der Gelassenheit der Menschen; ich mag das Unperfekte, das nicht einmal den Anspruch hat, perfekt sein zu wollen. Aber muss Afrika ausgerechnet dann unperfekt sein, wenn ich Geld brauche? Ich bin inzwischen knapp zwei Monate im Senegal und meine anfängliche Freude über das unorganisierte Leben hier ist etwas erschöpft und weicht immer häufiger der Frage, wie die Menschen hier das ihr Leben lang aushalten – und sich davon nicht ihre Lebensfreude nehmen lassen. Ich ärgere mich auch darüber, dass ich Khadys Mann Khadim vor drei Tagen mein fast letztes Geld geliehen habe und der Versicherung geglaubt habe, es in zwei Tagen zurückzubekommen. Schließlich kenne ich Afrika lange genug, um zu wissen, dass das hier nie funktioniert. Jetzt habe ich nicht einmal mehr Geld, um mit einem Taxi – dem zentralen öffentlichen Verkehrsmittel – zu einem anderen Automaten zu fahren. Also verbringe ich den Nachmittag schlecht gelaunt zu Hause. Eigentlich hatte ich meine Wäsche in die Wäscherei bringen wollen. Hier gibt es keine Waschsalons wie zu Hause, sondern nur solche, in denen man seine Wäsche abgibt und die Frau in der Wäscherei sie dann in die Waschmaschine stopft, zum Trocknen aufhängt, später von der Leine nimmt und faltet. Das ist nett, weil man sich wirklich um nichts kümmern muss und in einem Land mit hoher Arbeitslosenquote unterstütze ich Unternehmerinnen gern. Das Einzige, was mir daran missfällt: Der Vorgang dauert nicht wie im Waschsalon zwei Stunden, sondern zwei Tage. Ich muss das also bald machen, wenn ich meine Wäsche vor dem Wochenende sauber zurückhaben möchte. Ich müsste meine kaputten Schuhe zum Schuster bringen und meinen Wocheneinkauf machen, der sich hauptsächlich auf Bier beschränkt, da meine Gastgeberin Khady in der Regel für mich mit kocht. Es ist einfach unkomfortabel, kein Geld in der Tasche zu haben. Dabei habe ich eine gut gedeckte Kreditkarte und auch Bargeld, nur in der falschen Währung. Vermutlich kann ich hier in der Nähe irgendwo Euros in CFA-Francs tauschen, aber ich weiß nicht wo und bin von meinem erfolglosen mittäglichen Marsch so erschöpft und schlecht gelaunt, dass ich nirgends hingehen und fragen mag. Vermutlich werde ich erst morgen erneut zum Geldautomaten aufbrechen – denn wie ich Afrika kenne, ist auch die Reparatur von Geldautomaten keine Sache von Stunden, sondern eher von Tagen. Immerhin verspricht der Abend einen Lichtblick, Khady, die Kinder (zwei und fünf) und ich werden zusammen Fußball gucken. Coupe d’afrique des nations , Halbfinale, Senegal gegen Burkina Faso. Für das Viertelfinalspiel gegen Äquatorialguinea hatte Khady für sich und ihr Auto einen Wimpel und für die Kinder Schweißbänder in den Farben der senegalesischen Flagge (wie bei den meisten afrikanischen Ländern: Grün, Gelb, Rot) gekauft. Für das Halbfinalspiel gibt es Tröten in eben diesen Farben und die Kinder lieben sie sofort. Über den infernalischen Lärm hinweg schreie ich Khady zu, dass sie sich sicher bald fragen wird, warum sie diese Teile gekauft hat. Sie brüllt mit breitem Grinsen zurück, dass sie sich das jetzt schon fragt. Und fügt hinzu: „Wir gewinnen heute Abend. Zwei Null.“ Meine Frage, ob sie auch Lottozahlen vorhersagt, geht im Träää-Träää der Kinder unter. Glücklicherweise haben es Kinder in dem Alter ja noch nicht so mit Ausdauer und irgendwann lässt der Lärm nach. Ich finde mich zehn Minuten vor Beginn des Spiels mit meinem letzten Bier im Salon ein, um etwas vom Einstimmungsprogramm mitzubekommen: Diskussionen zur Spieleraufstellung und möglichen Taktik – jedenfalls vermute ich das, ich verstehe nämlich erstens kein Wolof (die Hauptsprache des Senegal) und zweitens von Fußball überhaupt nichts. Aber es gefällt mir, dass Bilder vom gemeinschaftlichen Fußballschauen gezeigt werden, das in Dakar an verschiedenen Orten möglich ist. Unter anderem nur fünf Minuten Fußweg von uns entfernt am Fuße des Monument de la Renaissance africaine , einem Kunstwerk, das ich zugleich faszinierend und scheußlich finde: 52 Meter hoher bronzener Sozialistischer Realismus. Ein in Richtung Westen schreitender Mann trägt auf einem Arm ein Kind und zieht mit dem anderen eine Frau hinter sich her. Ich weiß nicht, ob die Dakaroises das Monument mögen, vermute aber, dass sie dazu nicht viel zu sagen haben. Es wird damit sein wie so vieles hier: Es ist einfach da. Die Freifläche vor dem Monument jedenfalls mögen sie, zum Schlendern, Skaten, Joggen - die Dakaroises sind sehr sportlich, überall an der Corniche stehen öffentliche Klimmzugstangen und andere Geräte, die die zahlreichen Jogger zur Abwechslung nutzen; an den Stränden wird Fußball gespielt, gejoggt oder sich mit Sit-ups in Form gebracht. Der Platz vor dem Monument wird auch für Märkte oder Konzerte genutzt oder eben zum gemeinsamen Fußballschauen. Was hier nicht vordergründig deshalb bereitgestellt wird, weil gemeinsames Schauen netter ist, sondern weil sich viele Dakaroises schlicht keinen Fernseher leisten können. Pünktlich zu Spielbeginn haben sich noch eingefunden: Khadys fünfzehnjährige Nichte Farih und ein Nachbar, der schon beim Viertelfinale Khadys Jubelfreude empfindlich gestört hatte. „Wenn der Nachbar mich mit Madame Sarr anspricht, kann ich doch hier nicht laut schreien oder jubeln“, hatte sie sich bei mir nach dem Spiel beklagt. Auf meine Frage, warum sie ihn überhaupt eingelassen hat, sah sie mich befremdet an: „Dies ist Afrika, da sagt man nicht nein. Aber das nächste Mal mache ich einfach nicht auf.“ Das hat offensichtlich nicht geklappt. Wahrscheinlich darf man in Afrika auch nicht einfach die Tür nicht öffnen – es widerspricht dem Gedanken der Gastfreundschaft. Über das Spiel kann ich nicht viel sagen – wie gesagt, ich habe von Fußball keine Ahnung. Zur Halbzeit steht es immer noch Null zu Null, aber Khady bleibt fröhlich, denn sie weiß ja, dass ihre Mannschaft Zwei zu Null gewinnen wird. Erst ab der 70. Minute purzeln die Tore und in der 76. Minute scheint Khadys Vorhersage einzutreffen. Dabei hören wir den Torjubel vom Monument jedes Mal schon, bevor wir die Tore auf unserem Bildschirm sehen, der große Bildschirm scheint ein schnelleres Signal zu haben. Es fallen dann noch zwei Tore: eines für Burkina Faso und schließlich, in der 87. Minute das erlösende und finale Drei zu Eins. Jetzt ist Dakar nicht mehr zu halten: Silvesterraketen werden gezündet, es wird gehupt, gejubelt, gebrüllt, gesungen, getanzt. Khadys Kinder stehen auf dem Balkon, winken mit Fähnchen und brüllen für alle, die es womöglich noch nicht mitbekommen haben, immer wieder: „Senegal a gagné“. Wir sehen vom Balkon aus Menschenmassen in Richtung Monument strömen und im Fernseher die Bilder mit denen, die schon dort sind und feiern. Mein Verhältnis zu großen Fußballturnieren lässt sich am besten damit beschreiben, dass ich 2014 den Bäcker in meiner Straße etwa ein halbes Jahr lang boykottierte, weil ich am 14. Juli auf die Frage nach einem bestimmten Brötchen zur Antwort bekam: "Das sind Weltmeisterbrötchen." Ach, da sind also Weltmeister drin? Ich nahm dann ein anderes Brötchen und danach lange gar keines mehr in diesem Laden. Aber hier, an diesem Februarabend in Dakar teile ich die Freude all jener, die dort singen, tanzen, rufen, feiern. Vielleicht liegt es an meinem komplizierten Verhältnis zu Deutschland, dass ich immer das Gefühl habe, ein Sieg dort heißt: „Wir sind eben besser als der Rest der Welt“. Hier fühlt es sich eher an wie: „Wir können auch etwas gewinnen“. Das macht es sehr viel sympathischer. Gerade, als wir finden, nun ist genug gefeiert und die Kinder sollten ins Bett gehen – schließlich müssen beide morgen in die Schule beziehungsweise in den Kindergarten – verwickelt eine vor dem Haus stehende Nachbarin Khady in ein Gespräch. Ich bin schon auf dem Weg in mein Zimmer, um in Stille den Abend ausklingen zu lassen, der meinen Gastgebern und schließlich auch mir so viel Freude bereitet hat, da ruft Khady mir zu: „Komm schnell, wir nehmen das Auto der Nachbarin.“ Und weil ich nicht sofort reagiere, ruft sie noch einmal: „Vite, vite!“ Da Khady ansonsten die afrikanische Gelassenheit in Person ist und es nie wirklich eilig hat, verstehe ich, dass es jetzt wirklich schnell gehen muss. Muss ich irgendwas mitnehmen? Ich bin noch nie in einem Autokorso mitgefahren. Mein Kleid hat keine Taschen und eine Handtasche zu packen reicht die Zeit nicht aus. Mein Portemonnaie brauche ich nicht, weil eh nichts drin ist, meinen Schlüssel finde ich nicht. „Schlüssel hab‘ ich, schnell, schnell“, sagt Khady, die den Zweijährigen auf dem Arm hat, in T-Shirt und mit Windel, ohne Schuhe. Und dann sitzen wir im Auto: Khadys Kinder und der Junge der Nachbarin, eine Jugendliche und ich auf der Rückbank, vorn Khady und die Nachbarin, die immerhin noch ein Tuch um die Haare geschlungen hat. Die Frauen hier halten es unterschiedlich mit der Frage der Kopfbedeckung – Khady habe ich noch nie mit Kopftuch gesehen, viele Frauen tragen Tücher in der Farbe ihrer Kleider mit satten Farben und aufwändigen Mustern, wieder andere tragen feine, fast durchscheinende Schals. Von dieser Art ist das Tuch der Nachbarin, das ihr Haar noch vollständig bedeckt – im Laufe unserer Fahrt wird sich das Tuch lösen, so dass ich die kleinen Zöpfchen sehen werde, die sie darunter trägt. Sie wird sich das Tuch ein-, zweimal zurechtzupfen, es irgendwann aber aufgeben. Jetzt drückt sie jedenfalls erst einige Male kräftig auf die Hupe und dann geht es los: Ich fahre mit einer wild hupenden Muslima im Autokorso durch Dakar und kann mich kaum darüber wundern, weil alle so laut durcheinander brüllen. Also brülle ich einfach mit. Senegal a gagné! Senegal a gagné! Senegal a gagné! Wobei wir zunächst kaum fahren, sondern die meiste Zeit hinter anderen Autos stehen, bestenfalls in Zentimeterschritten vorwärts schleichen, weil die Straße verstopft ist von Autos und Fußgängern, die sich mit Khady und Farih an den offenen Fenstern abklatschen und sich gegenseitig noch einmal auf den neuesten Stand bringen: Senegal a gagné! Dabei sind alle vertreten: Junge Frauen in Jersey-Kleidern oder auch in Jeans und T-Shirts, ältere Frauen, in langen Kleidern mit schmalen Röcken, bei denen ich mich ständig frage, wie man in solchen Kleidern seinen Alltag meistern kann. Männer in Boubous oder ebenfalls in Jeans und T-Shirt oder Hemd. Auf der Gegenspur stehen die Autos ebenfalls und Ami, die Nachbarin, tanzt mit dem Fahrer des Autos gegenüber, sie schütteln die Schultern, wiegen den Kopf, schwingen die Arme, soweit das am Steuer eines Autos möglich ist. Im Kreisverkehr vor dem Monument führen ein paar Schauspieler eine Performance auf, ein Stück weiter sitzen Trommler und feiern den Sieg auf ihre Weise. Allein für die eineinhalb Kilometer durch das Viertel Ouakam brauchen wir schätzungsweise vierzig Minuten. Alle feiern, als seien sie gerade mindestens Weltmeister geworden und ganz kurz beschleicht mich der Gedanke: Gut, dass sie heute feiern, denn wer weiß, ob sie am Sonntag nach dem Endspiel dafür noch einen Grund haben werden. Natürlich behalte ich diesen Gedanken für mich – mir würde sowieso niemand zuhören. Gleichzeitig frage ich mich, wie es hier wohl aussehen wird, wenn der Senegal das Endspiel am Sonntag tatsächlich gewinnen sollte. Ich würde das gern erleben. Endlich biegen wir auf die Corniche ein und können etwas schneller fahren, zusammen mit Autos, deren Insassen in den heruntergekurbelten Fenstern sitzen, Fahnen schwingen und singen, wie auch das Dutzend Passagiere auf der Ladefläche eines Pick-ups. Am Place des Souvenirs werden wir erneut von einer Menschenmenge aufgehalten, die auf der Straße einen Tanz aufführt und uns erst nach langen Minuten passieren lässt. Weiter geht es, nach Yoff, wo die Menschenmengen allmählich kleiner werden und sich verteilen, dort sitzen die Fans noch vor den kleinen Boutiquen und Dibiterien, winken und lachen und wiederholen die Nachricht des Tages: Senegal a gagné . Nur ein paar Männer sind unbeeindruckt – Kongolesen vielleicht oder Guineer, von denen hier viele leben, und deren Mannschaften schon längst ausgeschieden sind. Nach etwa eineinhalb Stunden im Auto wird es stiller. Bilal ist inzwischen auf meinem Schoß eingeschlafen, Momo ist zu seiner Mutter auf den Beifahrersitz geklettert und winkt nur noch manchmal mit seinem Fähnchen. Auch in den Straßen ist es stiller, hier und da drängen sich noch ein paar Menschen zusammen, aber die allermeisten sind inzwischen nach Hause gegangen. Morgen ist Donnerstag – man muss die Kinder in die Schule schicken und zur Arbeit gehen. Wir liefern Khadys Nichte zu Hause ab und tragen schließlich die inzwischen eingeschlafenen Kinder nach oben. Das war er also, der erste Autokorso meines Lebens. Für manche Erfahrungen muss man eben tausende Kilometer weit reisen. Als ich in mein Zimmer zurückkehre, bin ich überrascht: Dakar ist still, ohne die sonst üblichen nächtlichen Geräusche. Kein Kind schreit nach seiner Mutter, kein Paar streitet, keine Autos hupen. Selbst die sonst stets meckernden Ziegen schweigen. Nirgends prasselt Wasser in ein großes leeres Gefäß, weil jemand seinen Wasservorrat für den nächsten Tag auffüllt. Und es gibt hier keine Gruppe von Leuten, die ihre Freude mit noch einem Bier und noch einem verlängert und dabei immer lauter wird. Hier wird wenig Alkohol getrunken und wenn, dann jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Vielleicht ist mir auch deswegen der hiesige Jubel so viel sympathischer. Und schließlich scheinen die Dakaroises daran zu denken, dass dies erst das Halbfinale war. Das Wichtigste kommt noch. Am nächsten Tag ist Khady heiser, wie auch der Muezzin, der mit seinen Gebetsrufen den hiesigen Tag strukturiert. Flüsternd kündigt Khady an, für sich und die Kinder fürs Finale Fan-Shirts zu beschaffen. Sie findet, ich sollte mir auch wenigstens ein Fähnchen besorgen. Ich will sehen, was ich tun kann. Schließlich muss ich erst einmal wieder zu Geld kommen. P.S. Sonntagabend. Khadim hat seine Schulden bei mir beglichen und einer der drei Automaten hat inzwischen tatsächlich Geld ausgespuckt. Meine Schuhe sind repariert und meine Wäsche ist gewaschen, getrocknet und gefaltet. Ein Fähnchen habe ich nicht, aber es gibt davon genug, an diesem Abend in Dakar, an dem Sadio Mané den entscheidenden Elfer verwandelt und der Senegal zum ersten Mal den Coupe d’afrique des nations gewinnt. Aber das ist eine andere Geschichte.
08 März, 2022
Nun sind sie fast um, meine drei Monate im Senegal. Für den Abschluss meines Aufenthaltes verordne ich mir ein paar touristische Highlights - so die Insel La Gorée , auf der ich beinahe den deutschen Präsidenten treffe. Schon auf der Taxifahrt zum Hafen gibt es am Präsidentenpalast eine Umleitung und ich bin überrascht, als der Taxifahrer auf meine Frage antwortet: „Der deutsche Präsident ist da.“ Die Bestätigung bekomme ich am Hafen, an dem ein Aushang der Schifffahrtsgesellschaft seine geschätzten Klienten um Verständnis dafür bittet, dass die Überfahrten zur Insel heute etwas gestört sind, weil Son Excellence, Monsieur Frank-Walter, President de la Republique Federale d’Allemagne der Insel einen Besuch abstattet. Steinmeier ist wirklich ein komplizierter Name. Die Insel La Gorée ist ziemlich berühmt, auch Barack Obama und Papst Johannes Paul II waren schon dort - denn es ist einer dieser Orte in Afrika, von denen aus in früheren Jahrhunderten Sklaven verschifft wurden. Das frühere Sklavenhaus ist heute ein Museum und die Insel ist - zumindest unter der Woche - ein beschaulicher Ort, der mit seinen bunten Häusern fast italienisch anmutet. Die Händlerinnen für Kleidung und Schmuck sind hier - im Gegensatz zu den sonstigen in Dakar - durchaus etwas aufdringlicher. Nachdem mir eine fünf Minuten lang Kleider und Stoffe zeigte, die mich nicht überzeugten, fragte sie mich, ob ich wirklich Madame-prends-rien sein möchte. Ja, wollte ich, zumindest bei ihr, denn nichts gefiel mir. Ich habe auf der Insel aber Kleider und Tücher gekauft, fast rauschhaft nach Farben gegriffen, denn ich weiß schon jetzt, dass ich die in Berlin vermissen werde. Gut möglich, dass ich dort kein einziges der Kleider werde tragen können, ich sehe schon jetzt die skeptischen Gesichter meiner Freunde vor mir, weil die Kleider vielleicht ein bisschen zu bunt sind. Und doch schien es mir dort auf der Insel unerlässlich, etwas von hier mit nach Hause zu nehmen und die Farben sind zumindest ein äußeres Zeichen der hier allgegenwärtigen Lebensfreude. Denn die hat mir die Tage in Dakar immer wieder versöhnt, wenn ich mich angesichts des ständigen und nie abreißenden Lärms und ewig komplizierten Dinge des Alltags gefragt habe, wie man hier arbeiten kann. Wäsche, Transport, Strom, Müll, jedes dieser in Deutschland selbstverständlichen Dinge braucht hier viel Zeit. Das hier zu erklären, würde den Rahmen sprengen, aber ich verspreche, ich werde davon irgendwann mehr erzählen. Aber wie schreibt eine großartige Schriftstellerin wie Aminata Sow Fall hier Bücher? Ich verstehe es noch immer nicht, doch ich habe es versucht. Ich habe tagsüber mit Ohropax am Schreibtisch gesessen, um den Lärm der Baustelle über mir auszublenden, ich habe die Pausen der Bauarbeiter genutzt. Ich bin an den Strand gegangen, bin in ruhigere Landesteile geflüchtet. Und zwischendurch habe ich fassungslos in die Abgründe von Beziehungen geschaut, in einem Land, in dem gesagt wird, Frauen seien Königinnen. Doch ihre Rollen sind festgelegt: Ihre Bestimmung ist Heiraten und Kinderkriegen. Ich habe gesehen, was das mit ihnen macht; was es bedeutet, an jedem einzelnen Tag den Alltag aufrechtzuerhalten, für sich, die Kinder und die häufig abwesenden Männer. Und trotzdem habe ich nur einen winzigen Ausschnitt gesehen. Ich habe die Zähne zusammengebissen und geschrieben, in der Hoffnung, dass es mir gelingt, etwas von alledem für europäische Leser zu „übersetzen“. Denn das war der Grund für meinen langen Aufenthalt hier: Recherche. Manchmal habe ich mich allerdings gefragt, ob ich es wirklich so genau wissen wollte. Doch es gab auch den Tag, an dem der Senegal den Coup d’afrique de la nations gewonnen hat, die Dakaroises die halbe Nacht lang auf den Straßen tanzten und ich gar nicht umhin kam, mich mit ihnen zu freuen und Fan von Sadio Mané zu werden, der den entscheidenden Elfer für den Senegal verwandelte. Vor allem aber investiert er einen großen Teil des Geldes, das er als Profi in Liverpool verdient, in seiner Heimatregion für Schulen, ein Krankenhaus, ein Stadion und unterstützt arme Familien mit einem monatlichen Betrag. Er hat seine Kindheit nicht vergessen, in der er hungerte und auf dem Feld arbeiten musste. Er hat einen weiten, steinigen Weg zurückgelegt, um heute als Fußballer viel Geld zu verdienen und findet, dass dies in seiner Heimat besser angelegt ist als in einem Fuhrpark mit mehreren Luxuskarossen. Allein dafür wäre ich schon Fan von ihm geworden. Es gab die Momente der Freude und Erleichterung, wenn mir jemand half, ein Problem zu lösen, wie der Guardien des Hauses, als ich allein zu Hause war und meine Gastgeber nicht genug Strom auf Vorrat eingekauft hatten. Ich tappte verzweifelt im Dunklen und er redete beruhigend auf mich ein - On est ensemble - bis das Problem gelöst war. Es gab die Momente, in denen ein Bauarbeiter eine Flasche Wasser für mich bezahlte, weil der Verkäufer in der Boutique an der Ecke meinen großen Geldschein nicht wechseln konnte. Es gab die Momente, in denen mir Frauen oder Männer auf der Straße Komplimente für mein schönes Kleid machten (ja, genau, für eines von denen, die ich in Berlin nicht werde tragen können). Im Grunde weiß ich noch immer nicht, wie das Leben hier funktioniert. Aber ich weiß, dass meine Laune hier schneller wieder besser wird, wenn ich einen Anfall von Depression bekomme. Dass die Verzweiflung hier flüchtiger ist. Dass ich mich häufiger freue als zu Hause. Während ich dies schreibe, ist in Europa ein Krieg ausgebrochen. Es scheint, dass ich einen Vorrat an Freude für meine Rückkehr gut gebrauchen kann.
von Dorrit Bartel 24 Jan., 2022
Als ich 2013 zum ersten Mal im Senegal war, prägte sich mir ein Moment besonders ein: Ich fotografierte in Saint-Louis, der früheren französischen Kolonialhauptstadt, die Umgebung und entdeckte plötzlich einen einheimischen Jugendlichen, der wiederum mich dabei fotografierte, wie ich seine Stadt und ihre Bewohner ablichtete. Ich senkte ertappt die Kamera und hielt seinem Blick stand, der freundlich war, in dem aber auch ein Hauch von Provokation lag: So ist es, wenn man ungefragt fotografiert wird. Seither habe ich von meinen Reisen so viele Fotos mitgebracht, dass mich die Datenmenge erschlägt, wenn ich ein spezielles Foto auf meiner Festplatte suche. Immer häufiger bin ich des Fotografierens müde, weil ich an die Unmenge von Fotos denke und möchte inzwischen oft lieber den Moment wahrnehmen, als darüber nachdenken, wie ich ihn konservieren kann. Vor allem aber bin ich vorsichtiger dabei geworden, Menschen abzulichten. Insbesondere hier im Senegal geschieht es häufig, dass jemand energisch den Kopf schüttelt, sobald ich die Kamera hebe. Der Islam verbietet Bilder zwar nicht (ohnehin sind viele angenommenen Verbote eher Empfehlungen, so ist ein Bier oder ein Glas Wein durchaus mit dem Koran vereinbar, zumindest in diesem Land, in dem ein gemäßigter Islam gelebt wird). Aber es gibt eben viele Menschen, die ihr Bild nicht auf irgendwelchen Festplatten von Europäern wissen möchten. Vielleicht bin ich auch erst durch ein Erlebnis vor einigen Jahren in Äthiopien besonders sensibilisiert. In unserer Reisegruppe war ein Deutscher, der sich damit brüstete, bereits 98 Länder der Erde bereist und bei jeder seiner Reisen mindestens 4000 Fotos gemacht zu haben. Einmal schipperten wir auf einem kleinen Boot über den Blauen Nil und eine junge Einheimische ihm gegenüber wand sich auf ihrem Platz, weil sie seiner Linse ausweichen wollte und dem unvermeidlichen Klicken der Kamera. Vollkommen ungerührt von dieser eindeutig unwilligen Geste drückte er wieder und wieder ab. Am selben Abend wiederholte sich dieser Moment mit einer anderen Einheimischen, die weniger Scheu zeigte und „Nein“ sagte. Da hatte er längst abgedrückt und wir anderen riefen unioso: „Löschen!“ Seine Antwort kam prompt und wiederum vollkommen empathielos und sich selbst zum Mittelpunkt der Welt erklärend: „Ich lösche nie ein Foto.“ Ich habe mich in meinem Leben selten so fremdgeschämt. Wenn ich seither mit der Kamera um den Hals die Straße entlanggehe, habe ich diese Erfahrung im Hinterkopf. Und wenn jemand eine ablehnende Handbewegung macht, weil ich die Kamera hebe, breche ich sofort ab. Die Menschen haben ein Recht darauf, nicht abgelichtet zu werden - warum auch immer sie das nicht wollen. Eine Straßenszene mit Dutzenden von Menschen zu fotografieren, erweist sich deshalb als schwierig. Aber es gehört für mich selbstverständlich zum Respekt dem Land gegenüber, in dem ich ein freundlich aufgenommener Gast bin, mich dem Wunsch seiner Bewohner zu fügen. Manchmal gelingen Fotos, die ein bisschen was zeigen - hier ein Foto vom einem Markt in Dakar (wie auch das Bild oben), eine Straßenszene in Kaolack, und ein Foto aus Miserah, einer kleinen Stadt kurz vor der Grenze zu Gambia, der Platz am Hafen an einem Samstagnachmittag. Und - weil es so schön ist - ein Sonnenuntergang von der vor Dakar liegenden Insel N’gor. Es ist ja nicht so, dass ich gar keine Fotos mache.
Straße im Dakarer Viertel Ouakam
von Dorrit Bartel 10 Jan., 2022
Eines Morgens fragt Khady mich, ob ich sie begleiten möchte, sie hat ein paar Dinge zu erledigen und falls ich mich langweilen würde… Ich klappe meinen Laptop, der sowieso nur Arbeit für mich bereithält, zu und beschließe, die Gelegenheit für eine Stadtrundfahrt zu nutzen. Immerhin denke ich daran, mir ein Buch einzustecken, denn das hier gebräuchliche vite-fait kann sich gern schon mal ein paar Stunden hinziehen. Und auf Teju Cole habe ich mich sowieso schon gefreut. Außerdem können wir am Ende der Fahrt vielleicht beim Schuster vorbeifahren, denn gleich an meinem zweiten Tag hat sich die Sohle eines meiner Schuhe gelöst, als ich an einer Treppenstufe hängengeblieben bin. Das passiert mir hier jedes Mal, denn die Stufen sind hier nicht genormt und da passiert es leicht, dass ich an einer unregelmäßigen hängenbleibe. Es wird noch ein paar Tage dauern, bis meine sich meine Füße an die ungenormten Stufen anpassen. Unsere Fahrt beginnt damit, dass Khady feststellt, weder Papiere noch Geld bei sich zu haben und noch einmal nach Hause zurückfährt. Dann muss sie an einer Tankstelle halten, weil einer ihrer Reifen keine Luft mehr hat. Endlich lassen wir den Stau der Hauptstraße hinter uns und biegen in eine Straße in Mermoz ein. Hier wohnen die Toubabs, die Weißen. Ich verstehe, warum man hier wohnen will: Bäume spenden Schatten, Bougainvillen säumen richtige Straßen, nicht staubige Sandwege wie sie in Ouakam, dem Viertel, in dem ich bei Khady wohne, verbreitet sind. „In einem der Häuser gibt es auf dem Dach einen Pool. Da würde ich gern wohnen“, sagt Khady. „Aber teuer ist es.“ Natürlich. Wir halten an einer Orange-Money-Hütte, an der Khady Geld abhebt, um es in der Bank einzuzahlen – die Zahlungssysteme Bank und Mobile Pay sind hier offenbar noch nicht kompatibel. Während ich am Auto warte, rollt ein Mann vom Dakarer Ordnungsamt auf einem Motorroller heran. Ich muss ihn davon abhalten, Khadys – widerrechtlich – geparktes Auto mit einer Kralle zu versehen. Lächelnd, aber unnachgiebig setzt er die Kralle schon mal an, als ich mich ans Steuer setze und ein Wegfahren andeute, indem ich immerhin den Motor starte. Dabei denke ich, dass ich jetzt alles noch schlimmer mache, denn mein Internationaler Führerschein liegt sicher zu Hause in Ouakam. Aber dem Mann vom Ordnungsamt reicht meine Geste des guten Willens und die Versicherung, dass die Besitzerin des Autos gleich wegfahren wird. Gutmütig winkt er ab und konzentriert sich auf einen anderen Falschparker. Auf den Roman von Teju Cole kann ich mich erst an unserer nächsten Station konzentrieren, während Khady das Geld auf der Bank einzahlt. Die zuerst ins Auge gefasste hat eine zu lange Schlange und keine Parkplätze, diese hier hat wenigstens Parkplätze. Ich versichere Khady, dass ich mich nicht langweilen werde, und widme mich endlich Teju Cole. In „Jeder Tag gehört dem Dieb“ kehrt der Held nach langer Abwesenheit nach Nigeria zurück. Zwölf Jahre hat er in den USA gelebt und dort ein anderes Leben, vor allem ein rechtsstaatliches, kennengelernt. Er schildert seine Ankunft in Lagos, wo er innerhalb einer Stunde dreimal mit der in Nigeria verbreiteten Korruption konfrontiert wird. Die emotionale Rückkehr in sein Heimatland wird von der Wut darauf überschattet. Im Laufe seiner Reise versteht er, dass das ständige Hand-Aufhalten überlebenswichtig ist. Das macht die Wut nicht kleiner, aber es gibt ihm ein anderes Verständnis dafür, das allerdings immer wieder auf die Probe gestellt wird. Ich habe etwa die Hälfte des 150 Seiten umfassenden Buches ausgelesen, als Khady aus der Bank zurückkommt und mich in den Senegal zurückkatapultiert, in dem ich selbst nur ein einziges Mal Zeugin von Korruption war – vor drei Jahren, als ich mit Khadys Bruder in einem Auto ohne Versicherung unterwegs war und ein Polizist seinen Führerschein einziehen wollte. Mit einem Geldschein in einem Gegenwert von vielleicht 20 € löste er das Problem damals. In Nigeria wäre das teurer gewesen. Oder gefährlicher, denn die allgegenwärtige Korruption führt dazu, dass auch Gewalt in dem Land ständig präsent ist. Gerade hatte ich über den Onkel des Helden gelesen, der bei einem Raubüberfall erschossen wurde. Nigeria, beschließe ich nicht zum ersten Mal, bleibt vorläufig auf meiner persönlichen Reisewarnliste. Ich will gern weitere afrikanische Länder kennenlernen, aber lebensmüde bin ich nicht - und über starke Aggressivität als Grundstimmung in Nigeria habe ich leider schon häufiger gehört. Wir setzen unsere Fahrt fort, im Viertel Sacre Coeur hat Khady ihr Büro, das sie nur selten aufsucht, da sie ihre Geschäfte als Immobilienmaklerin weitgehend telefonisch abwickelt. Nur wenn sie Papiere braucht oder etwas drucken muss, fährt sie dorthin. Ihr Büro liegt an einer großen Straße, die derzeit ausgebaut wird, Schilder mit chinesischen Zeichen weisen auf die Investoren dieser Baumaßnahme hin. Einstöckige Häuser allein würde der Straße ein beschauliches Aussehen geben – wäre da nicht die Baustelle. Boutiquen, Schönheitssalons, Reinigungen oder Restaurants befinden sich in den Erdgeschossen der Häuser und darüber vermutlich viele Büros wie das von Khady, zu dem wir zwischen Wäscherei und Boutique hinaufsteigen. Ein kleiner Raum mit zwei Schreibtischen und einem Sofa, auf dem ich mit Teju Cole weiter durch Nigeria reise, während Khady Papiere zusammensucht. Still ist es hier, auf der Baustelle wird gerade nicht gearbeitet und unerbittlich knallt die Mittagssonne auf die baumlose Straße. Die für Dakar ungewohnte Stille überrascht mich, doch als ich aus dem Fenster sehe, ist es so, wie es sich anhört: Da ist niemand. Nur einmal klappt eine Autotür und ein Mann trägt ein Paket in die Boutique. Nach einer halben Stunde geht es weiter, Khady lässt mich noch einmal im Auto allein, als sie im Supermarkt einkaufen geht – Kartoffeln brauche sie noch, sagt sie und kommt mit Fanta und Keksen zurück. Die Kartoffeln haben ihr nicht gefallen und bei der Gelegenheit hat sie beschlossen, heute nicht zu kochen, sondern Essen zu bestellen. Sie verwirklicht ihre Idee sofort und bestellt telefonisch etwas, was sie mir später als typisch kongolesische Speise vorstellt: Reisknödel mit einer cremigen Soße aus Spinat und Ziegenfleisch. Zurück geht es durch kleine, angenehme Straßen, in denen von frischen Anstrichen leuchtende Häusern eng stehen und Schatten spenden. Irgendwann sind wir wieder in Ouakam und ich bin überrascht, wie groß dieses Viertel ist, das erst vor etwa zehn Jahren angelegt wurde – was erklärt, warum hier so viel gebaut wird. Vor einem Wohnhaus halten wir und Khady ruft an, um zu sagen, dass wir da sind und das Essen abholen wollen. Es dauert noch etwa zehn Minuten, dann bekommen wir zwei Tüten ins Auto gereicht. Etwa vier Stunden waren wir für vite-fait unterwegs und haben dabei am Ende den Schuster vergessen. Nachdem wir gegessen haben und ich mich vergewissert habe, dass die Arbeit in meinem Laptop noch warten kann, mache ich mich noch einmal auf den Weg. Khady hatte eigentlich mitkommen wollen, um mir den Weg zu zeigen und aufzupassen, dass der Schuster keinen „Toubab-Preis“ berechnet. Sie hat aber keine Zeit, also schärft sie mir ein, dass die Reparatur nicht mehr als 500 CFA kosten darf. Die erste Herausforderung ist es, den Schuster überhaupt zu finden, ich schlängle mich vorbei am Gewusel des Marktes mit Ständen voller Bananen, Melonen und Mandarinen, Zwiebeln und Tomaten, an Batterien von Plastiktöpfen und -schemeln, kitschigen Kissen und Cremetöpfen, von denen ich nur die Sheabutter kenne, die neben Kajalstiften und Räucherstäbchen angeboten wird. In der stillen Straße hinter dem Markt soll irgendwo der Schuster sein, doch die Geschäfte, die ihre Waren nicht auf der Straße stehen haben, tragen nur selten Schilder, auf denen steht, was sie im Innern anbieten – schließlich kennen die Einheimischen sich hier aus. Immerhin gibt es ein Geschäft, das Schuhe verkauft, gut sichtbar auf einem Gitter präsentiert. Gebrauchte Schuhe, was hier üblich ist. Ein junger Mann in Jogginganzug und mit Sonnenbrille sitzt vor dem Geschäft und schrubbt ein paar – vermutlich aus Europa eingeführte – abgetragene Turnschuhe. Ist das der Schuster? Ich entscheide, dass Fragen ja auch hier nichts kostet, zeige ihm meine kaputte Sandale und frage, ob er sie reparieren kann. Er murmelt etwas, was ich als „Ja“ interpretiere, erst recht, nachdem er mir einen eleganten, aber unbequemen Metallstuhl zurechtgestellt hat, auf dem ich Platz nehme. Sorgfältig sucht er in einem Plastiksack nach Klebstoff, reinigt den Schuh von alten Kleberesten, trägt den Leim auf und lässt ihn antrocknen. Während wir warten, bewundere ich die farbenfrohen Boubous der vorübergehenden Männer sowie die ebenso bunten Kleider und den stolzen Gang der jungen afrikanischen Frauen. Selbst wenn sie keine Schüssel mit Waren auf dem Kopf tragen, was hier sehr oft zu sehen ist, bewegen sie sich so, dass sie es jederzeit könnten. Im Alter verwandelt sich der elegante Gang oft in ein gebeugtes Schlurfen, in dem alle Lebensanstrengungen erkennbar sind – doch eine Schüssel mit mehreren Kilo Bananen oder Schmuck zum Verkauf können sie auch dann noch tragen. Mehrfach wird der Schuster von Passanten angesprochen und auch wenn ich die Sprache der Einheimischen, Wolof, nicht verstehe, erkenne ich, dass hier ganz offensichtlich immer das Begrüßungsritual abläuft: „Wie geht‘s?“ „Gut, danke. Und selbst?“ „Danke, gut. Und mit der Familie alles gut?“ „Ja, alles gut. Und die Arbeit?“ „Gut, danke.“ Erst wenn die letzte Frage dieser ausführlichen Grußformel gestellt und – in Variationen – beantwortet ist, wendet sich der Passant wieder seinem Weg zu. Endlich reicht mir der Schuster meinen Schuh. „C’est bon“, sagt er auf meine Frage, was ich ihm schuldig bin. Ich vermute ein Missverständnis und frage noch einmal. „Si je dis c’est bon, c’est bon.“ Überrascht packe ich meine Sandale ein und verabschiede mich. „A la prochaine fois.“ Obwohl es nicht sein muss. Ob das in Nigeria auch so passiert wäre? Die Fotos zeigen alle Straßen im Dakarer Viertel Ouakam. Und in einem meiner nächsten Texte erzähle ich, warum auf meinen Bildern so wenig Menschen zu sehen sind, obwohl ich ja immer vom Gewühl in den Straßen erzähle.
von Dorrit Bartel 26 Dez., 2021
Ich bin zurück. Im Wohnzimmer meiner Freundin Khady, wo wir am Anfang der Pandemie saßen und die Bilder aus Bergamo sahen. Damals nickte ich, als sie irgendwann sagte: „Ich komme mir vor wie in einem schrecklichen Film.“ Ich bin wieder in Dakar. Damals war der weltweite Flugverkehr praktisch zum Erliegen gekommen, ich saß fest und wusste nicht, wann ich nach Hause kommen würde. Die Welt war aus den Fugen geraten, etwas war geschehen, von dem noch niemand sagen konnte, wohin es führen würde. So gern ich in Dakar und bei meinen Freunden war, wollte ich in dieser Situation doch lieber in meiner Wohnung in Berlin sein und in der Nähe meiner Familie. Als ich nach drei Wochen bangen Wartens einen Evakuierungsflug nach Köln bekam, fühlte ich mich allerdings schlecht: Die Prognosen für Afrika in dieser Pandemie waren verheerend. Und ich reiste ab ins vermeintlich sicherere Europa und ließ meine senegalesischen Freunde dans la merde zurück. Nun, zwanzig Monate später komme ich aus dem wieder lockdownbedrohten Deutschland und erlebe ein munteres Dakar, in dem der Optimismus die Oberhand behalten hat. In Ouakam, dem Viertel, in dem ich bei Khady wohne, wird gebaut – an jeder Ecke, in jeder Straße entstehen neue Häuser oder die vorhandenen werden aufgestockt. Leider auch das, in dem Khady wohnt, wie ich schnell feststelle. In Berlin hatte ich ebenfalls in den letzten Monaten eine Baustelle vor dem Fenster. Meine Hoffnung, es hier etwas ruhiger zu haben, bewahrheitet sich leider nicht. Als ich mich über den Lärm beklage, sagt Khady mit dem hier typischen Achselzucken: „Drei Monate hieß es, jetzt sind es schon zehn.“ Das kommt mir sehr bekannt vor. Während ich in Berlin jedoch deswegen zwischen Wut und Verzweiflung schwanke, schließe ich mich hier dem Achselzucken an. Die kleinen Geschäfte, die in jenen ersten Wochen der Pandemie freiwillig schlossen, haben wieder geöffnet, nichts mehr ist von der damaligen fast gespenstischen Stille zurückgeblieben. Einige Geschäfte haben nicht überlebt. Vielleicht hätten sie es ohnehin nicht? Leid tut es mir um die kleine Reinigung, die eine junge, sympathische Frau betrieben hatte, die mir meine gewaschene Wäsche vorbeibrachte, nachdem sie herausgefunden hatte, wo ich wohne. An der Stelle ihres Geschäfts befindet sich jetzt ein Friseur. Wo mag sie jetzt sein? Ich bedaure auch, dass es den kleinen Shop nicht mehr gibt, in dem es Bier und Wein gab. In einem muslimischen Land ist der Weg zu Alkohol eben etwas weiter – in meinem Fall brauche ich jetzt knapp zwanzig Minuten Fußweg bis zum Supermarkt. Ich könnte ein Taxi nehmen, aber das lohnt kaum, schneller bin ich bei den allgegenwärtigen Staus in Dakar damit auch nicht. Und am Abend meiner Ankunft bin ich einfach zu müde für das übliche Verhandeln mit den Taxifahrern. Meine Energie dafür habe ich am Morgen schon verbraucht, als ich vom Busbahnhof zu Khady fuhr. 2000 CFA (etwa 3,20 €) soll es maximal kosten, hatte sie mir geschrieben. Der erste Taxifahrer wollte das Doppelte, mit dem zweiten einigte ich mich auf 3000 CFA, zu erschöpft für weitere Verhandlungen nach einer Nacht im Flugzeug, einer Stunde am Flughafen mit Pass- und Impfausweiskontrollen und einer weiteren im Bus vom Flughafen und mit dem Gepäck für etwa drei Monate. Inzwischen habe ich zwar eine Stunde geschlafen, aber den Schlafmangel noch nicht wirklich kompensiert, und mache mich knapp nach Sonnenuntergang auf den Weg zum Supermarkt, denn für den Temperaturanstieg von etwa 25 Grad wird mein Körper ein paar Tage brauchen. Tapfer trage ich mein Gazelle, das einheimische Bier, vom Supermarkt durch staubige Straßen, vorbei an unzähligen halbfertigen und doch bewohnten Häusern und angepflockten Ziegen und registriere eine neue Djibiterie, ein hiesiger Imbiss, der hauptsächlich frisch auf Holzkohlefeuer geröstete Fleischspieße anbietet. Ich weiche Pferdewagen und Autos aus, deren Staubwolken mich einhüllen. Ich grüße die Kinder, die höflich Bonjour sagen, wenn ich vorbeigehe, lächle den Bananen- und Erdnussverkäuferinnen an den Straßenecken zu und freue mich, wenn sie mein Lächeln erwidern. Im Supermarkt ist das Tragen von Masken Pflicht, in den kleinen Shops scheint es fakultativ zu sein – oder wird zumindest so gehandhabt. Draußen tragen nur wenige Menschen Masken, ansonsten allenfalls noch die Taxifahrer und sehr selten Leute in privaten Fahrzeugen. Das hatte ich in den Informationen des Auswärtigen Amts gelesen: Masken seien in Privatfahrzeugen mit mehr als zwei Insassen Pflicht, Nichteinhaltung werde streng bestraft. Also fragte ich Khady, als ich nachmittags zu ihr und den Kindern ins Auto stieg. Sie winkte ab. Später erzählt sie, dass es hier offenbar viele asymptomatische Verläufe von Corona-Infektionen gegeben habe. Ihre Schwägerin, die aus Frankreich zu Besuch kam, hatte sich kurz vor ihrem Heimflug testen lassen und so erst festgestellt, dass sie sich infiziert hatte. Zum Eigenschutz habe ich mir in Berlin kurz vor meinem Abflug noch eine dritte Impfung abgeholt, aber auch, um hier diejenigen zu schützen, denen ich nahekomme, weil wir in einem Haushalt wohnen. So jedenfalls war meine Überlegung, doch im Grunde kümmern sich die Menschen hier wenig um Corona. Khady ist doppelt geimpft. Ihr Mann nicht, obwohl es inzwischen kein Problem mehr ist, an die Impfung zu kommen. „Wir essen dauernd Chili, Zitrone, Knoblauch, das hilft unseren Abwehrkräften“, sagt Khady und ich frage mich, was Wissenschaftler wohl irgendwann zum Verlauf der Pandemie in Afrika sagen werden. Dass die vorhergesagte Katastrophe ausblieb, kann nicht nur an Zitrone und Chili liegen. Die junge Bevölkerung ist sicher ein Grund und die Tatsache, dass sich bei den hiesigen Temperaturen das Leben zumeist draußen abspielt. Und doch gibt es hier viele Gelegenheiten, bei denen sich das Virus ausbreiten könnte; schon am Nachmittag meiner Ankunft essen wir wie immer: nah beieinandersitzend gemeinsam senegalesischen Reis mit Gemüse und Fisch von einer großen Platte. Und am nächsten Abend schläft Khadys zweijähriger Sohn Bilal abends in meinen Armen ein. Die Sicherheitsmaßnahmen, die wir vor zwanzig Monaten beachteten, haben sich nicht durchgesetzt. Jedenfalls haben wir das Thema Corona innerhalb kürzester Zeit abgehandelt und können uns sehr bald wieder auf das Wesentliche konzentrieren: Dass wir Zeit zusammen verbringen können. On est ensemble.
von 42er 14 Apr., 2020
Es ist still geworden in Dakar. Der Muezzin ruft nicht mehr mehrfach am Tag zum Gebet, nur zwei Mal am Tag meldet er sich über Lautsprecher, um die Gläubigen daran zu gemahnen, das Beten nicht zu vergessen, auch wenn sie dazu nicht mehr in die Moschee gehen dürfen. Es sind sehr viel weniger Fußgänger und […]
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